Der Kettnsägetäter erhält einen Staranwalt. Das Opfer hingegen, ein Mann der öffentlich aufgetreten war und mit der Motorsäge im Gesicht schwer verletzt wurde, ist auf sich selbst angewiesen. Er bekommt keinen Anwalt, der sich für seinen Schaden stark macht. Sonderbar - nicht wahr?
Ich zitiere 20 Min:
Am Montagmorgen des 24. Juli stürmte
Franz W. mit einer Kettensäge in die Schaffhauser Filiale der
CSS-Versicherung und verletzte zwei Mitarbeiter zum Teil schwer. Zwei
weitere Kunden erlitten einen Schock und eine Person wurde von der
Polizei verletzt. Am Abend des 26. Juli wurde W. von der Kantonspolizei
Zürich in Thalwil verhaftet. Mit Ex-Bundesanwalt Erwin Beyeler wurde ihm
ein prominenter Pikett-Verteidiger zugeteilt. Pikett-Anwälte
sind aber nur für die ersten Tage zuständig. Mittlerweile hat sich W.
einen neuen Anwalt geholt: Den Zürcher Thomas Fingerhuth. Der Anwalt hat
in seiner Karriere bereits mehrfach in spektakulären Kriminalfällen
mitgewirkt. So verteidigte er den Serien-Vergewaltiger Markus W. und die
Kindsmörderin Bianca B. (siehe Bildstrecke). «Aussichtslose Fälle gibt
es nicht», sagte er 2013 der NZZ. «Franz W. ist recht gefasst» Gegenüber
20 Minuten sagt Fingerhuth, W. habe ihn angefragt. Er habe ihn
daraufhin im Gefängnis besucht. «Wir haben uns gut verstanden. Ich
konnte eine Beziehung zu ihm herstellen», sagt Fingerhuth. Seinem
Klienten gehe es relativ gut: «Er ist recht gefasst». Mittlerweile habe
sich die Sache auch wieder relativiert. Es sei nun klar, dass W. weder
jemanden getötet noch fünf Personen selbst verletzt habe, wie es
anfänglich geheissen habe. Die Folgen des Angriffs seien
medial heraufgespielt worden, sagt Fingerhuth. Eine Relativierung habe
es aber nie gegeben. Wenn erst klar sei, mit welcher Motivation sein
Klient gehandelt habe, sei es möglich, dass nicht mehr versuchte Tötung,
sondern ein milderer Straftatbestand im Vordergrund stehe.
KOMMENTAR: das Opfer hat ein entstelltes Gesicht und der Verteidiger bagatellisiert die Tat: Der Täter habe ja niemanden getötet. Die Geschichte sei medial heraufgespielt worden. Ein Verteidiger darf oder muss zwar gemäss seiner Rolle die Tat seines Klienten schön färben. Dennoch stellt sich die Frage, ob das Opfer nicht auch einen Anspruch haben sollte auf professionelle Hilfe, damit es nicht am Schluss zwei Mal den Kürzeren zieht: Mit der Behinderung und mit den Kosten. Ist es gerecht, wenn der Täter juristische Hilfe bekommt, das Opfer hingegen auf sich selbst angewiesen bleibt?
Zum Opfer (Quelle Blick)
«Der Herr hat mir ein zweites Leben geschenkt»
Shaffhausen – Vier Menschen verletzte Franz W. (51) am
Montagvormittag mit einer Motorsäge in der CSS-Filiale in Schaffhausen.
Am schlimmsten traf es den Versicherungsmann und Elvis-Nachahmer Mike
F. (40).
Not-OP
Er wurde ins Kantonsspital eingeliefert
und war nach einer Not-OP den ganzen Tag nicht ansprechbar. Seine Frau
Marika wachte im Spital und wich nicht von seiner Seite. Gestern meldete
sich Mike F. erstmals zu Wort.
Auf Facebook schrieb er: «Das
schreckliche Ereignis am Montag hat mich und meine Angehörigen aus dem
Alltag gerissen und unser Leben komplett verändert.
Ein zweites Leben
Ich
danke dem Herrn, dass er mir ein zweites Leben geschenkt hat.» Er habe
viele gute Wünsche, Anrufe, Nachrichten und Blumen erhalten. «Ich bin
unendlich dankbar für die grosse Unterstützung! Ihr könnt euch nicht
vorstellen, was das für eine Kraft in mir auslöst, das Ganze zu
verarbeiten.»
«Elvis aus Diessenhofen»
Gleichzeitig
bittet er um Verständnis, dass er sich nicht persönlich bedankt. «Wir
müssen alles langsam angehen.» Der Thurgauer arbeitete seit sieben
Jahren in der Filiale in der Vorstadt. In seiner Freizeit verwandelt
sich der Versicherungsmann in «Elvis aus Diessenhofen». | Sascha Schmid