Samstag, 11. Januar 2014

Der Ausgang des Rennens ist noch völlig offen

Prognosen sind nicht zu trauen

Mit entsprechenden Prognosen versuchen beide Seiten die Stimmberechtigen zu beeinflussen:
Entweder um Unentschlossene aufzuschrecken oder um jene zu beeinflussen, die bei den Siegern sein wollen und sich an die Umfragen anpassen. Es geht jetzt um einen Kampf zur Gewinnung der Unentschlossenen.


Die Einwanderungsinitiative ist für Politologe Thomas Milic noch nicht entschieden. Die meisten Argumente der SVP überzeugen, aber die Angst vor EU-Sanktionen könnte entscheidend sein.(Quelle 20 Min))

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Laut dem Politologen Thomas Milic fürchten sich viele Schweizer vor den ökonomischen Konsequenzen der EU bei einem Ja. (Bild: Keystone/Steffen Schmidt)

55% Prozent der Schweizer lehnen gemäss der neusten SRG-Umfrage die SVP-Initiative gegen die Masseneinwanderung ab. Ist damit bereits eine Vorentscheidung gefallen?

Thomas Milic: Nein, eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Denn bis auf eines stossen alle in der Vorumfrage getesteten Argumente der SVP auf eine breite Zustimmung. Die Probleme, welche die SVP anspricht, werden also auch von einer Mehrheit der Stimmbürger als solche gesehen.
Das eine SVP-Argument, das derzeit aber keine Mehrheit hat, wird wahrscheinlich den Ausschlag geben. Dieses eine Argument besagt, dass man nötigenfalls auch eine Kündigung der Bilateralen Verträge in Kauf nehmen muss. Davor bzw. vor den allfälligen ökonomischen Konsequenzen fürchten sich derzeit aber viele Stimmbürger und deshalb tendiert eine Mehrheit derzeit zu einem Nein.

Welche Chancen hat die SVP noch?


Die Zustimmung zur Initiative steht und fällt mit der Einschätzung der daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen. Die SVP wird nun versuchen, diese Ängste zu nehmen. Sie wird argumentieren, dass keine gravierenden wirtschaftlichen Konsequenzen zu befürchten sind. Wenn ihr das in den verbleibenden fünf Wochen gelingen sollte, ist alles möglich.


Können die gestiegenen Arbeitslosenzahlen der Initiative nochmals Auftrieb geben?
Die Befürworter werden das gewiss auszunutzen versuchen. Da aber selbst die Gegner der Initiative den Problemdruck nicht grundsätzlich leugnen, wird das wahrscheinlich keinen grossen, zusätzlichen Effekt haben.
Bei der Fabi-Vorlage gibt es einen Ja-Trend. Allerdings sind mit 17 Prozent noch sehr viele unentschlossen. Ein Nachteil für die Vorlage?
Bei einer solchen, eher komplexen Vorlage ist es nicht ungewöhnlich, dass es viele Unentschlossene gibt. Ähnlich wie bei der Familieninitiative oder der Vignetten-Abstimmung sind die Meinungen einen Monat vor der Abstimmung noch nicht gemacht. Das Ergebnis kann also noch auf beide Seiten kippen.
Kommentar: Ich teile Milics Meinung, dass der Ausgang der Abstimmung noch völlig offen ist. Es zeigt sich, dass Prognosen kontraproduktiv sein können. (Beispiel: Familieninitiative. Die Befürworter wurden eingelullt und die Gegner mobilisierten enorm.) Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Stimmberechtigten bei Umfragen und Gesprächen gegen die Initiative aussprechen. In Wirklichkeit aber heimlich ein JA in die Urne legen. Die Gegner dürfen sich nicht zu früh freuen.

Ehrlich währt am längst längsten

Ehrlichkeit und Selbstkritik ist eine erfolgreiche "Butter-Taktik".

In der Rundschau zelebrierte Gian-Franco Kasper,  amtierender Präsident des Internationalen Skiverbandes (FIS) und Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), wie man mit Ehrlichkeit, Recht-geben und Selbstkritik einem bissigen Moderator die Zähne ziehen kann.
 
Das Schweizer Fernsehen wollte mit Gian-Franco Kasper einen Vertreter der Olympischen Winterspiele in die Zange nehmen – vergeblich. Das IOK-Mitglied parierte die Angriffe mit verblüffender Ehrlichkeit. (Ich zitiere Tagi online): 

Standen sich an der «Rundschau»-Theke gegenüber: Gian-Franco Kasper (links) und Sandro Brotz. (Bild: srf.tv)
Standen sich an der «Rundschau»-Theke gegenüber: Gian-Franco Kasper (links) und Sandro Brotz. (Bild: srf.tv)

Sandro Brotz hatte einen schweren Stand. Für einmal wirkte der «Rundschau»-Moderator, der eigentlich für seine bissigen Interviews bekannt ist, zahnlos. Sein Gesprächspartner hiess Gian-Franco Kasper.
Die Voraussetzungen für ein «heisses Gespräch» waren gut, wenn nicht zu sagen optimal. Noch nie wurde im Vorfeld von Olympischen Spielen derart viel Kritik geäussert: korrupte Behörden, Schwulenfeindlichkeit, Arbeitsrechtsverletzung auf den Grossbaustellen oder Putins Gigantismus. Objektiv betrachtet gibt es nicht viel, das die Vergabe der Spiele ins russische Sotschi rechtfertigen würde. Das Schweizer Fernsehen, das kaum einmal um eine Russland-Kritik verlegen ist, wollte den Zeitpunkt wohl nutzen, um einen der Verantwortlichen in die Zange zu nehmen.

«Das Gespräch war harmlos»

Brotz begab sich in Kampfstellung und konfrontierte Kasper mit der Korruption, welche die Kosten der Spiele in horrende Höhen trieb. Doch statt diese These zu entkräften, leistete Kasper dem Moderator Schützenhilfe: «Ja, das ist ein Problem. Wir schätzen, dass 30 Prozent der Gelder in der Korruption versickern.» 

Das Drehbuch für das Gespräch war somit schon mit der ersten Frage geschrieben. Der Moderator attackierte (vergeblich), und der Interviewpartner parierte jeweils mit entwaffnender Ehrlichkeit. Brotz twitterte nach der Sendung: «Noch selten war ein Gast so direkt, offen und selbstkritisch.»
Brotz verpasste es , auf die Homosexuellen-Debatte einzugehen. Auch mit der Verletzung der Arbeiterrechte konnte Kasper nicht in die Enge getrieben werden. «Dass die Leute auf ihr Geld warten, ist eine Tragödie», bestätigt Kasper. Doch letztlich liege dieses Problem nicht im Einflussbereich des IOK. Damit war das Thema gegessen. Kein Widerspruch, kein Nachhaken seitens des Moderators. 

«In Sotschi wird keine Stimmung aufkommen»

Da kam die viel propagierte Terrorgefahr in Sotschi gerade recht. Doch Kasper überstand auch diesen Vorstoss von Brotz: Ein gewisses Risiko gebe es überall. Sotschi werde während der Spiele «der sicherste Ort der Welt sein». Über 40'000 Sicherheitskräfte würden im Einsatz sein. Ein solches Sicherheitsdispositiv sei natürlich mit Einbussen verbunden, wie Kasper sogleich zugab und damit die nächste Breitseite des Moderators elegant abwehrte. «Ich gebe Ihnen absolut recht. In Sotschi wird keine Stimmung aufkommen», so Kasper.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs schien klar: Der Sportfunktionär nutzte die mediale Plattform nicht, um kurz vor den Spielen die Werbetrommel zu rühren. Im Gegenteil: Kasper bekräftigte seine Befürchtung der «herzlosen Spiele», die er schon vor Monaten einmal geäussert hatte. In Sotschi werde wohl alles sehr gut organisiert sein. Doch es würden «kalte Spiele» werden, weil in dieser Gegend der Wintersport «keine Tradition» habe – mit Ausnahme von Eishockey, das in Russland schon immer für Begeisterung gesorgt habe, sagt Kasper.

«Dieser Gigantismus ist schlecht»

Der Funktionär machte während des Gesprächs auch klar, welche Interessen ihm vor allem am Herzen liegen. Diejenigen der FIS – der Organisation, in deren Dienste er sich schon seit fast 40 Jahren stellt. Bergsport hat in Sotschi keine Tradition. Die meisten der Skianlagen wurden innerhalb der letzten fünf Jahre aus dem Boden gestampft. «Dieser Gigantismus ist schlecht. Auf diese Weise würde sich die olympische Bewegung selber auffressen.»
Brotz versuchte derweil, seinen letzten Trumpf zu spielen: Wladimir Putin, den russischen Präsidenten, dem vorgeworfen wird, er nutze die Olympischen Spiele lediglich als grosse Imagekampagne. Kasper pflegt als IOK-Mitglied engen Kontakt zu Putin und stand schon im Jahr 2001 gemeinsam mit dem Kreml-Chef auf der Skipiste. Zuletzt konnte er ihm bei einem gemeinsamen Nachtessen auf den Zahn fühlen: «Putin ist ... was soll ich sagen ...» – Kasper ringt nach Worten – «eine spezielle, ja eine eiskalte Persönlichkeit.» Sein Enthusiasmus für die Olympischen Spiele sei beeindruckend. Doch Putin sei niemand, mit dem er befreundet wäre, so Kasper. 


KOMMENTAR: Die selbstkritischen Antworten Kaspers hätten jeden Interviewer überrascht. Sie machen uns bewusst, dass bei Angriffen das weiche Abfangen (Recht-geben, Einsicht) mehr Erfolg hat, als das Beschönigen, Rechtfertigen oder Zurückschlagen. Deshalb zählt dieses verbale Abfedern zu den "Buttertaktiken". Es wird gesagt, dass eine Kugel im Butter schneller zum Stillstand kommt, wie bei einem harten Gegenstand. Die Energie wird aufgefangen.