EIGENTLICH KOENNTEN SICH DIE LINKEN ALS GEWINNER DER WAHL FEIERN
"Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg", sagte Klaus Wowereit
im Fernsehen - und brachte der Kanzlerin seinen Respekt entgegen. Die
adernauerschen Dimensionen, in die Merkel vorgedrungen ist, machten
selbst die Konkurrenten von der SPD ganz benommen. Darüber vergaßen die
Sozialdemokraten ganz, sich selbst als die Gewinner der Wahl zu feiern.
Rot-rot-grün verfügt nämlich über 42,7 Prozent der Stimmen, das ist mehr
als die Union mit ihren 41,5 Prozent. Jetzt müsste sich die SPD nur
noch als Teil einer solchen - linken - Mehrheit begreifen.
Die Leute haben Merkel gewählt - nicht ihre Regierung
Merkels Erfolg ist gleichzeitig ihr Verhängnis.
Die Leute haben nur
sie gewählt - nicht ihre Regierung.
Es war eine schöne Frage, die der
Kanzlerin an diesem Abend gestellt wurde: "Muss jede Partei, die mit
Ihnen koaliert, mit dem politischen Ableben (FDP) oder schweren
Stimmverlusten (SPD) rechnen?" In ihrer Antwort lieferte Merkel ihre
eigene Karikatur: "Es gibt viele Menschen in Deutschland, die finden,
dass wir in einem ganz guten Land leben."
Die Wahrheit ist, dass Merkels Kurs der gnadenlosen Mitte das deutsche Politiksystem durcheinandergewürfelt hat. Die FDP - überflüssig. Die SPD - verzwergt. Die Grünen - geschwächt. Und am rechten Rand erhebt eine neue reaktionäre Kraft ihr Haupt.
Ob die AfD die Neigung zum Zerfall übersteht, die alle neuen Parteien
nach ihrer Gründung befällt, wird man sehen. Ihre Chancen stehen gut:
denn sie gibt den "Traditionskonservativen" eine neue Heimat, die Merkel
ihnen genommen hat. Karl Theodor zu Guttenberg
hat, sicher zur Freude der Kanzlerin, kurz vor der Wahl in einem
Zeitungsartikel extra noch einmal auf diesen Umstand hingewiesen.
Nur die Linken bleiben sich treu. Sie sind in Hessen nicht
gescheitert, haben sich im Bund anständig gehalten und vor allem haben
sie bewiesen: sie kommen auch ohne Oskar Lafontaine zurecht. Gutgelaunt rief Gregor Gysi seinen Leuten zu: "Wer hätte 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird." Das klang wie ein frecher Scherz, war aber nur eine Darstellung des Wahlergebnisses.
Es geht ein Riss durchs Land
Für die CDU bleibt das nicht ohne Folgen. Man würde nur ein bisschen
übertreiben, wenn man sagt: Merkel hat die CDU zu Tode gesiegt. Denn die
Kehrseite ihres Erfolges ist: es geht ein Riss durch das Land. Etwa die
Hälfte der Leute will, dass Merkel weiter wurstelt - anders kann man
ihre Politik der kleinen, unentschlossenen Schritte kaum nennen. Die
andere Hälfte will einen Politikwechsel: höhere Steuern für Wohlhabende,
mehr soziale Gerechtigkeit, mehr europäisches Engagement.
Es ist eine kuriose Situation: Die vermeintliche Siegerin Merkel ist
jetzt in Wahrheit Angela Ohneland. Und der vermeintliche Verlierer SPD
könnte das Blatt für sich wenden - wenn er denn wollte. Die SPD muss
dafür ihre neue Rolle akzeptieren. Die Ära der großen,
sozialdemokratischen Volkspartei
ist vorüber. Ob 23 Prozent bei der letzten Wahl oder knapp 26 Prozent
jetzt - die SPD steht mit ihrem Signum schon lange nicht mehr für die
linke Gegenkraft, die sich dem Primat des Ökonomischen entgegenstellt.
Die SPD ist nur noch die führende Oppositionspartei. Nicht mehr, nicht
weniger. Es ist Zeit, umzudenken. Die SPD ist jetzt der Primus inter
Pares der linken Opposition. Sie hat die Aufgabe, Grüne und Linke unter
ihrer Führung zu einer neuen, linksliberalen Regierung zusammenzufassen. (Quelle SPIEGEL)
KOMMENTAR: Tatsächlich hat die Siegerin Merkel als Regierung verloren. Unter ihr wurde die FDP zerrieben. Die liberale Kraft verlor ihre Glaubwürdigkeit, weil sie das liberale Gedankengut - eingebunden in der Regierung - vernachlässigte. Die Linken müssten nun über den Schatten springen und zusammenstehen. Was sie nicht tun werden.
Dazu sind sie nicht fähig. Vermutlich werden sich die traditionskonservativen Kräfte in den kommenden Jahren neu formieren. On verra. Angela Merkel ist so hoch oben - es kann nur noch abwärts gehen.