Donnerstag, 5. September 2013
Täter werden therapiert - Die Opfer vernachlässigt
Opferhilfe: Ungenügend
Zwischen dem Aufwand Täter zu therapieren und Opfern zu helfen klafft eine grosse Lücke.
Dies zeigte sich im CLUB vor allem in den gegenseitigen Positionen bei den beiden Professoren Martin Killias (der für eine Anpassung des Strafrechtes stark machte) und dem forensischen Psychiater Frank Urbaniok (der vor allem die Therapie der Täter rechtfertigte aber dennoch Verständnis zeigte für die Opferhilfe).
Ich zitiere Tagi online:
Der «Club» begann mit einem Einspieler zum «Fall Carlos». Nochmals
konnte der Zuschauer über die Betreuungskosten von 29'000 Franken den
Kopf schütteln. Danach meinte Moderatorin Karin Frei: Man könne zu
diesem Zeitpunkt nicht seriös über Sinn und Unsinn dieser Massnahmen
diskutieren.
Doch auch ohne den Bericht zum Fall Carlos, der am Freitag erscheint, abzuwarten, steht fest:
Der Opferschutz ist trotz des vor 20 Jahren in Kraft getretenen Opferschutzgesetzes mangelhaft.
In der Runde sass etwa Nicole Dill, die 2007 von einem Mann vergewaltigt und beinahe ermordet wurde. Sie sagte, dass sie um ihre Opfertherapien habe kämpfen müssen. Eben erst sei ihr von der Versicherung die Kostenübernahme gestrichen worden.
Von den gerichtlich zugesprochenen Genugtuungszahlungen erhalten die Opfer oft nur einen Bruchteil. Interessant war die Frage, weshalb das so ist. Denn den bürokratischen Hürden, mit denen die Opfer zu kämpfen haben, liegt offenbar eine gesellschaftliche Haltung zugrunde. Ein Unbehagen der Unversehrten gegenüber der Ohnmacht der Opfer. In einer Gesellschaft, die stark, schnell und gesund sein will, mag man sich nicht mit Leuten abgeben, die dauerhafte Schäden erlitten haben.
Beziehung zwischen Staat und Täter
Die Aussagen der Opfer, die gestern zu Wort kamen, waren erschütternd. Reto Gisler, der einen Mordversuch seines Vaters nur mit schwersten Behinderungen überlebte, sagte, er fühle sich wie ein «Pestinfizierter». Besonders schlimm: Bei Reto Gisler reagierten die Behörden nicht auf seine Warnungen – der vorbestrafte Vater brachte danach den vierjährigen Halbbruder um.
Es war eine Diskussionsrunde, wie man sie sich wünscht. Aufgehängt an einem aktuellen Thema, das die Bevölkerung interessiert, wurden die Probleme der Opferhilfe anhand von konkreten Beispielen erläutert. Und es ist dem «Club» hoch anzurechnen, dass trotz der tragischen Fälle immer wieder auf übergeordnete Ebenen gewechselt wurde. So machte der forensische Psychiater Frank Urbaniok einen erhellenden Exkurs in die Justizgeschichte: Unser Rechtssystem gründet auf der Beziehung zwischen Staat und Täter. Das Opfer hatte lange Zeit die Funktion eines Beweismittels. Dies, so Urbaniok, müsse sich ändern.
Das Opferschutzgesetz ist hier natürlich ein erster Schritt. Doch mit der Umsetzung hapert es bis heute – föderalistische Hürden erschweren die Hilfe, auch der Datenschutz steht einer zureichenden Hilfestellung bisweilen im Weg. Die Runde war sich einig: Es braucht therapeutische und juristische Profis, deren Hilfe Opfer unkompliziert beanspruchen können.
Opferschutz wurde zu Täterschutz
Apropos Datenschutz: Nicole Dill erfuhr im Nachhinein, dass der Täter ein verurteilter Mörder war. Doch als sie sich im Vorfeld über die Vergangenheit ihres Partners informieren wollte und sich hilfesuchend an verschiedene Instanzen wandte, wurde ihr jegliche Information verweigert – mit Hinweis auf den Datenschutz. Opferschutz wurde zu Täterschutz.
Nicole Dills Peiniger brachte sich später um. Dill bezeichnete dies als Erleichterung – ansonsten sie vor dem Tag Angst gehabt hätte, «an dem er wieder rauskommt». Sie schlug damit den Bogen zum Fall Carlos. Denn sperrt man einen Täter weg, kommt er doch irgendwann – wenn es sich nicht um eine lebenslange Verwahrung handelt – wieder auf freien Fuss. Und zwar untherapiert, kurz: die Chance, dass er wieder zuschlägt, ist ziemlich hoch. Urbaniok dazu: «Wir wissen dank Studien, dass wir mit guten Therapieprogrammen die Rückfallgefahr senken. Strafen hingegen bewirken das Gegenteil.» Die Rückfallgefahr steige, so der Psychiater. Strafe und Therapie sollten deshalb in Relation zueinander stehen.
Strafrechtsprofessor Martin Killias interpretierte besagte Studien weniger optimistisch als Urbaniok. Die Wirksamkeit von vielen Therapien sei nicht schlüssig bewiesen. Die Bevölkerung störe sich weniger an den hohen Kosten als an der Tatsache, dass ein Täter nicht bestraft werde.
Kommentar:
Es ist denkbar, dass der Fall Carlos, bei dem laufend neue Ungereimtheiten im Täterschutz an den Tag kommen, etwas im Strafrecht geändert wird. Die Kontrollfunktion der Medien war notwendig.
Wenn solche Unzulänglichkeiten - wie im Fall Carlos - unter den Teppich gekehrt werden wollten, ist es wichtig, dass die fragwürdigen Massnahmen von den Medien offen hinterfragt werden. Ich warte gespannt auf die Beurteilung der Regierungsrates, der bislang geschwiegen hatte und am Freitag zu dieser unerfreulichen Geschichte Stellung nehmen will. Auch ich zolle der Diskussionerunde im CLUB Lob. Vor allem der Profi- Moderatorin Karin Frei gebührt Anerkennung. Sie hatte ein gute Hand hinsichtlich THEMENWAHL und AUSWAHL der TEILNEHMER.
Zwischen dem Aufwand Täter zu therapieren und Opfern zu helfen klafft eine grosse Lücke.
Dies zeigte sich im CLUB vor allem in den gegenseitigen Positionen bei den beiden Professoren Martin Killias (der für eine Anpassung des Strafrechtes stark machte) und dem forensischen Psychiater Frank Urbaniok (der vor allem die Therapie der Täter rechtfertigte aber dennoch Verständnis zeigte für die Opferhilfe).
Ich zitiere Tagi online:
Doch auch ohne den Bericht zum Fall Carlos, der am Freitag erscheint, abzuwarten, steht fest:
Der Opferschutz ist trotz des vor 20 Jahren in Kraft getretenen Opferschutzgesetzes mangelhaft.
In der Runde sass etwa Nicole Dill, die 2007 von einem Mann vergewaltigt und beinahe ermordet wurde. Sie sagte, dass sie um ihre Opfertherapien habe kämpfen müssen. Eben erst sei ihr von der Versicherung die Kostenübernahme gestrichen worden.
Von den gerichtlich zugesprochenen Genugtuungszahlungen erhalten die Opfer oft nur einen Bruchteil. Interessant war die Frage, weshalb das so ist. Denn den bürokratischen Hürden, mit denen die Opfer zu kämpfen haben, liegt offenbar eine gesellschaftliche Haltung zugrunde. Ein Unbehagen der Unversehrten gegenüber der Ohnmacht der Opfer. In einer Gesellschaft, die stark, schnell und gesund sein will, mag man sich nicht mit Leuten abgeben, die dauerhafte Schäden erlitten haben.
Beziehung zwischen Staat und Täter
Die Aussagen der Opfer, die gestern zu Wort kamen, waren erschütternd. Reto Gisler, der einen Mordversuch seines Vaters nur mit schwersten Behinderungen überlebte, sagte, er fühle sich wie ein «Pestinfizierter». Besonders schlimm: Bei Reto Gisler reagierten die Behörden nicht auf seine Warnungen – der vorbestrafte Vater brachte danach den vierjährigen Halbbruder um.
Es war eine Diskussionsrunde, wie man sie sich wünscht. Aufgehängt an einem aktuellen Thema, das die Bevölkerung interessiert, wurden die Probleme der Opferhilfe anhand von konkreten Beispielen erläutert. Und es ist dem «Club» hoch anzurechnen, dass trotz der tragischen Fälle immer wieder auf übergeordnete Ebenen gewechselt wurde. So machte der forensische Psychiater Frank Urbaniok einen erhellenden Exkurs in die Justizgeschichte: Unser Rechtssystem gründet auf der Beziehung zwischen Staat und Täter. Das Opfer hatte lange Zeit die Funktion eines Beweismittels. Dies, so Urbaniok, müsse sich ändern.
Das Opferschutzgesetz ist hier natürlich ein erster Schritt. Doch mit der Umsetzung hapert es bis heute – föderalistische Hürden erschweren die Hilfe, auch der Datenschutz steht einer zureichenden Hilfestellung bisweilen im Weg. Die Runde war sich einig: Es braucht therapeutische und juristische Profis, deren Hilfe Opfer unkompliziert beanspruchen können.
Opferschutz wurde zu Täterschutz
Apropos Datenschutz: Nicole Dill erfuhr im Nachhinein, dass der Täter ein verurteilter Mörder war. Doch als sie sich im Vorfeld über die Vergangenheit ihres Partners informieren wollte und sich hilfesuchend an verschiedene Instanzen wandte, wurde ihr jegliche Information verweigert – mit Hinweis auf den Datenschutz. Opferschutz wurde zu Täterschutz.
Nicole Dills Peiniger brachte sich später um. Dill bezeichnete dies als Erleichterung – ansonsten sie vor dem Tag Angst gehabt hätte, «an dem er wieder rauskommt». Sie schlug damit den Bogen zum Fall Carlos. Denn sperrt man einen Täter weg, kommt er doch irgendwann – wenn es sich nicht um eine lebenslange Verwahrung handelt – wieder auf freien Fuss. Und zwar untherapiert, kurz: die Chance, dass er wieder zuschlägt, ist ziemlich hoch. Urbaniok dazu: «Wir wissen dank Studien, dass wir mit guten Therapieprogrammen die Rückfallgefahr senken. Strafen hingegen bewirken das Gegenteil.» Die Rückfallgefahr steige, so der Psychiater. Strafe und Therapie sollten deshalb in Relation zueinander stehen.
Strafrechtsprofessor Martin Killias interpretierte besagte Studien weniger optimistisch als Urbaniok. Die Wirksamkeit von vielen Therapien sei nicht schlüssig bewiesen. Die Bevölkerung störe sich weniger an den hohen Kosten als an der Tatsache, dass ein Täter nicht bestraft werde.
Kommentar:
Es ist denkbar, dass der Fall Carlos, bei dem laufend neue Ungereimtheiten im Täterschutz an den Tag kommen, etwas im Strafrecht geändert wird. Die Kontrollfunktion der Medien war notwendig.
Wenn solche Unzulänglichkeiten - wie im Fall Carlos - unter den Teppich gekehrt werden wollten, ist es wichtig, dass die fragwürdigen Massnahmen von den Medien offen hinterfragt werden. Ich warte gespannt auf die Beurteilung der Regierungsrates, der bislang geschwiegen hatte und am Freitag zu dieser unerfreulichen Geschichte Stellung nehmen will. Auch ich zolle der Diskussionerunde im CLUB Lob. Vor allem der Profi- Moderatorin Karin Frei gebührt Anerkennung. Sie hatte ein gute Hand hinsichtlich THEMENWAHL und AUSWAHL der TEILNEHMER.