Steinhart reden wie Steinbrück oder weichgespült wie Merkel?
Es ist eine Kunst, die Balance zu finden zwischen ungefilterten oder weichgespülten Aussagen. Wir empfehlen immer, Sachverhalte auf den Punkt zu bringen ohne das Gegenüber zu verletzen oder vor den Kopf zu stossen.
Ungefiltert reden wie Stolpersteinbrück
oder
Airbagrhetorik pflegen wie Merkel?
Diese Grundsatzfrage muss alle Politiker beschäftigen
(Quelle DIE ZEIT)
Zur Rhetorik der Macht
Die Medien ärgern derzeit über Peer Steinbrücks ungefilterte Aussagen. Sollte er vielleicht lieber so weichgespült reden
wie die Kanzlerin?
Der Kanzlerkanditat macht mit seinem
ungeschickter Umgang mit den Medien ständig von sich reden. Stolpersteinbrück habe, wie der
Spiegel
in seiner aktuellen Titelgeschichte noch einmal herausstellt,
»den Eindruck« erweckt, sich ein besseres Einkommen verschaffen zu
wollen, da er in einem Interview auf das zu tiefe Kanzlergehalt hingewiesen habe. Störend ist es, dass er vielmehr stets das Gegenteil behauptet hatte, zum Beispiel im November in
der
Bild am Sonntag: »Meine Bewerbung um die
Kanzlerkandidatur zeigt, dass mir dieses politische Engagement
wichtiger ist als Geld. Denn sonst würde ich mehr verdienen, wie ja
jetzt jedermann weiß.« Das weiß natürlich auch jeder politische
Kommentator, genauso wie er allerdings auch weiß: Darauf kommt es
gar nicht an. Es kommt nicht in erster Linie auf die Aussage
selbst an, es kommt darauf an, ob sich aus der Aussage ein zweifelhafter
Eindruck ableiten lässt, der zu einer öffentlichkeitswirksamen
Erzählung taugt. Die Erzählung lautet:
Ausgerechnet ein
Kanzlerkandidat der SPD,
der für seine Vorträge hohe Honorare kassierte, hinterlässt den
Eindruck, sich über sein mögliches zukünftiges Gehalt zu beschweren.
Nach Steinbrücks Vorgeschichte, so der Spiegel,
»wirkte es seltsam«, dass Steinbrück auf das Kanzlergehalt zu
sprechen gekommen sei. Seltsam ist allerdings auch, dass die seltsame Wirkung einer Aussage ein Politikum sein soll.
Genau besehen, lässt sich aus den Steinbrückschen Interviewsätzen vor
allem ableiten, dass er sich den Medienmechanismus nicht zu eigen
machen möchte, wonach schon der mögliche Eindruck, den eine
Aussage hinterlässt, diese sogleich zu einer kritikwürdigen macht.
Eine
kluge Antwort im Pingpongspiel eines journalistischen Interviews
ist heute eine tautologische oder möglichst selbstverständliche,
aus der sich, wenn überhaupt, nur indirekt etwas ableiten lässt. In
diesem Sinne kluge Antworten kennt man gut von der Bundeskanzlerin.
Nur einige allzu typische Beispiele aus den vergangenen Monaten:
Am 2. Mai beantwortete
Angela Merkel in der
Welt die Frage, welche Bedeutung die Landtagswahl in
Schleswig-Holstein für sie und die
CDU
habe, folgendermaßen:
»Jede Landtagswahl ist wichtig, weil sie
darüber entscheidet, welche Politik in einem Bundesland zum Tragen
kommt (...).« Am 3. Mai wurde sie von der
Hamburger Morgenpost gefragt, ob sie zur
Fußballeuropameisterschaft in die
Ukraine fahre: »Ich habe noch keine Reisepläne zu Spielen der EM gemacht, weder nach
Polen noch in die Ukraine, so etwas entscheide ich immer kurzfristig (...).« Am 2. Dezember wurde sie in der
Bild am Sonntag
gefragt, welche Position die Union zur steuerlichen
Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare mit Eheleuten habe:
»Der Parteitag ist der richtige Ort für eine solche Entscheidung
(...).« Wie ernst nimmt sie ihren Herausforderer Peer Steinbrück? »Ich
habe immer jeden meiner Konkurrenten und Herausforderer ernst
genommen und respektiert (...).«
In Angela Merkels Interviewantworten wird entweder auf ein
zuständiges Gremium verwiesen (»Parteitag«), die Fragestellung bis
zur Unkenntlichkeit ins Allgemeine verschoben (»Jede Landtagswahl
ist wichtig...«, »Ich habe immer jeden meiner Konkurrenten...«), oder
aber die Frage wird als noch gar nicht beantwortbar deklariert, da
eine Entscheidung noch aussteht: »Ich habe noch keine
Reisepläne...« Es gehört übrigens zum guten Ton der Medienkritik, derlei
Politikeraussagen zu beanstanden – als zu glatt, zu strategisch,
zu unauthentisch (das sei bei Wehner, Brandt, Kohl noch ganz
anders gewesen und so weiter), was natürlich zu kurz greift: Bis
zu einem gewissen Grad bleibt Politikern gar nichts anderes übrig, als
ihre Botschaften formelhaft zu wiederholen, damit sie auch
durchdringen.
Nun folgen Steinbrücks Interviewantworten keineswegs der gewohnten
politischen Kommunikationsstrategie, sie meiden irritierenderweise
die Trias aus Ablenkung (»Parteitag«), Verallgemeinerung (»Jede
Landtagswahl«) und Verschiebung (»Reisepläne«). »Zählt Nähe zu den
Menschen zu Ihren Stärken?«, wurde Peer Steinbrück am 8. Dezember in
der
Süddeutschen Zeitung gefragt. Antwort:
»Ich bin offen, biedere mich aber nicht an. Ich rede auch im
Alltag so, wie mir der Schnabel gewachsen ist.« Die Bild am Sonntag
fragte ihn am 25. November: »Sie haben Angela Merkel
aufgefordert, den Deutschen in Sachen Griechenland endlich die
Wahrheit zu sagen. Was ist die volle Wahrheit?« Antwort Steinbrück: »Wir
Deutsche müssen Opfer bringen für den Zusammenhalt Europas. Wir
sind längst in einer Haftungsunion. Griechenland wird in den
nächsten acht Jahren nicht auf die Kapitalmärkte zurückkehren und
braucht daher Brücken. Für diese Brücken müssen wir sorgen, und das
kostet Geld.« Im selben Interview wird Steinbrück nach der Agenda
2010 gefragt. Seine Antwort ist zweifellos auch hier unglatt und
unstrategisch: »Es gab Fehler, auch von mir persönlich. Die Besteuerung
der Kapitaleinkünfte ist bis heute zu niedrig (...) wir haben an
manchen Stellschrauben, etwa der Leiharbeit, zu stark gedreht.« Am
19. Dezember wurde er im ZEIT-Interview gefragt:
»Ist das Ihr Trick, dass Sie wirklich etwas sagen, wenn Sie etwas
sagen?« Und er antwortet: »Das ist kein Trick. Dieses Geschwafel
passt einfach nicht zu mir.«
Journalisten beklagen sowohl politische Nullaussagen als auch unkluge
Antworten.
Unkluge Antworten sind in der Regel konkrete Antworten
auf konkrete Fragen. In einer stark regulierten Medienwelt mit
all ihren Eigengesetzlichkeiten wiegen unkluge Antworten schwerer als
»Geschwafel«. In Interviews, die von einem Beraterstab im Zuge der
Autorisierung nach Anrüchigem oder Angreifbarem panisch
durchforstet werden, sind inhaltliche Fauxpas offenbar so selten
geworden, dass zur Skandalerzeugung vorzugsweise die Form herhalten
muss, also der Eindruck, den eine Aussage auch nur erzeugen
könnte
(oder, siehe Wulff, der Lebensstil – auch eine Formfrage).
Zur Lösung des Formproblems des Kandidaten wird deshalb dringend
eine bessere Formberatung anempfohlen: Warum, so wird gefragt, hat
Steinbrücks Sprecher die Sätze nicht einfach herausgestrichen? Das
Politische ist zusammengeschrumpft auf die desillusionierende
Frage, ob die Kommunikations- und Imageberater auch klug genug sind.
Die Falle, die sich bei Interviews auftut, folgt dabei der Logik des
Doublebinds: Sowohl die unkonkrete Beantwortung einer Frage ist
unbefriedigend als auch die konkrete. Aber nur Letztere hat das
Potenzial zum großen Aufreger. Vor allem natürlich dann, wenn es der
Befragte auf undisziplinierte und zu Recht als unprofessionell
kritisierte Grenzüberschreitungen der Rezeptionsgewohnheiten von
Interviews anlegt wie Steinbrück, der damit kokettiert, zu reden,
wie ihm »der Schnabel gewachsen ist«.
Verschoben hat sich die Sensibilität für Verfehlungen
Da eine kluge Kommunikationsstrategie derzeit zum Hauptmerkmal von
politischen Prozessen gemacht wird, kommt es nämlich darauf an,
konkrete Antworten und Aussagen nur noch mit äußerstem Bedacht zu
wählen.
Weil es, wie der Soziologe Niklas Luhmann Ende der achtziger
Jahre entwaffnend schlicht formuliert hat, eine Asymmetrie im
Verhältnis von Reden und Schweigen gibt, gilt stets die Regel:
»Wer schweigt, kann immer noch reden. Wer dagegen geredet hat,
kann darüber nicht mehr schweigen.« Im Stadium des Anwärters auf das
Kanzleramt über das Gehalt des Kanzlers zu räsonieren erwies sich als zeitlich unpassend, wie die ZEIT bereits in der vergangenen Woche anmerkte.
In der heutigen Gesellschaft, so Luhmann, sind gesellschaftliche
Prozesse nur als Kommunikation möglich. Jede Beobachtung setzt
sich dabei selbst der Beobachtung aus (es gibt keine
»unbeobachtbaren Beobachter« mehr wie einst die religiös legitimierten
und gottähnlichen Politiker). Damit wird das Beobachten des
Beobachters zum »Normalmodus gesellschaftlichen Prozessierens, und
damit läuft zugleich die Kommunikation der Kommunikation aus dem
Ruder«. Luhmann fügte ein seinerzeit populäres Beispiel an, ein
berühmtes Interview mit Helmut Kohl: »Kohl hatte beobachtet, daß
Gorbatschow wie Goebbels ein Meister in der Behandlung der
öffentlichen Meinung ist. Die Beobachtung dieser Beobachtung führt dann
aber zu dem Schluß, daß Kohl kein solcher Meister ist.«
Der klaustrophobische Befund, den Luhmann seinerzeit für die
politische Kommunikation implizit erhob, gilt offenkundig noch
heute:
Entweder riskieren Politiker, dass Kommunikation »aus dem
Ruder« läuft, oder aber sie richten sich in der Trias aus Ablenkung,
Verallgemeinerung und Verschiebung ein. Beobachtbar ist bei letzterem
Verfahren die kluge Kommunikation mit Journalisten, da
geschwiegen statt geredet wird (auch Nullaussagen sind eine Form
des Schweigens). Und Dummheit, falls sich jemand dieser Strategie nicht
unterwirft.
Verschoben hat sich allerdings seit Luhmanns Beobachtungen
offenkundig die Sensibilität für Verfehlungen. Womöglich galt vor
wenigen Jahrzehnten tatsächlich noch als Nullaussage
(»Kanzlergehalt«), was heute zum Politikum taugt. Das aber würde über
den Zustand der Medien, die sich derzeit wirtschaftlichem Druck
und einer verschärften Aufmerksamkeitskonkurrenz ausgesetzt sehen,
mehr aussagen als über das politische Personal. Dass sich die Medien in
Zukunft selbst kritischer beobachten, dürfte allerdings als
ziemlich unklug gelten und damit unwahrscheinlich sein.
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