Sonntag, 29. Juli 2012


War die Ueberreaktion Andy Tschümperlins Taktik oder wird sie für die SP zum Bumerang?


SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin greift die SVP an. Zoom
SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin greift die SVP an. (Bild aus TAGBLATT: Reuters/ Thomas Hodel)




SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin wollte nach der Sonntagspresse (am letzten  Wochenende) die Wahl Ueli Maurers zum Bundespräsidenten verhindern. Der Beitrag fand in allen Medien grosse Beachtung. Hätte nämlich diese Wahlverhinderung der SP Erfolg, wäre dies der Coup des Jahres

 Andy Tschümperlin vertrat  die Meinung: «Wir können uns einen Bundespräsidenten auf Kollisionskurs nicht leisten.» 








Andy Tschümperlin  ist ein  Politiker, der noch  vor seiner überraschenden Wahl zum Fraktionschef der SP im Radio DRS gesagt hatte, er sei kein Softi Politiker.
Mit dem brisanten Appell zur Verhinderung der Wahl Maurers zum Bundespräsidenten bewies  nun Tschümperlin, dass er tatsächlich kein Softi Politiker ist.

Er denkt mit seiner Forderung  weit voraus – bis zum Dezember. Dann nämlich wählt die Bundesversammlung   den neuen Bundespräsidenten. Mit der vorschnellen Verlautbarung wollte er vielleicht nur zeigen: Ich bin der neue Fraktionspräsident! Ich mache Nägel mit Köpfen.

 

 Der  Plan des SP Fraktionschefs ist deshalb so brisant, weil er   mit der bisherigen Tradition bricht.

 «Ueli Maurer, so wie er sich bis jetzt verhält, ist nicht die richtige Besetzung für das Bundespräsidium», sagte er im Gespräch mit SonntagsBlick an seinem Wohnort Rickenbach. «Die SP muss deshalb gut überlegen, ob Maurer 2013 die Regierung   leiten soll. Ich finde nein – und werde mich dafür einsetzen.»

Parteiinterne Gespräche liefen bereits, behauptete Tschümperlin. Es suche nur noch Verbündete bei den  Mitteparteien. Allein könnten die Genossen den Verteidigungsminister nicht bodigen.

Der SP Politiker führte in der Begründung verschiedene Argumente an, weshalb der Tabubruch bei Maurer nicht nur angemessen, sondern notwendig sei. Maurer habe seine Rolle als Bundesrat   auch nach mehreren Jahren im Amt nicht gefunden: «Maurer führt sich wie ein Parteipräsident auf und hat keine Achtung vor den politischen Gegnern.» So habe er kurz nach der Widerwahl von Eveline Widmer-Schlumpf im Dezember 2011 das Bundesratszimmer verlassen – um seinen Frust darüber mit Parteikollegen kundzutun. «Unwürdig» für einen Bundespräsidenten, fand der neue SP Fraktionschef.

Ebenso unwürdig sind - nach Auffassung des ehemaligen Lehrers - diverse Interview-Aussagen Maurers – wie kürzlich erst im deutschen Meinungsblatt «Die Zeit». Dem sagte der SVP-Magistrat: «Heute will ja niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, in die EU.» Die SP protestierte gegen die Unterstellung, EU-Befürworter hätte nicht alle Tassen im Schrank.



War Tschümperlins Vorprellen lediglich bewusste Taktik, damit man von der SP spricht – oder nur eine billige Retourkutsche, um Micheline Calmy-Rey zu rächen, die 2010 von der SVP kaum eine Stimme bekam? «Wir haben keine Verpflichtung, Ueli Maurer zu wählen», sagte er trocken. Die Presse ging davon aus, dass der angekündigte Plan des Fraktionschefs selbstverständlich als SP - Plan geplant ist. Es gab nirgends eine Klärung; die Verlautbarung sei lediglich eine persönliche Gedankenskizze.  

Nach dem  Paukenschlag am letzten Wochenende wurden allmählich auch kritischen Stimmen verschiedender SP Politikern bekannt gegeben. Es zeigte sich:  Tschümperlins Plan war von der Parteispitze angeblich nicht abgesegnet. Es wurde nun deutlich, dass Tschümperlin keine Rückendeckung in der eigenen Partei hatte.

Erst nach ein paar Tagen liess  die Geschäftsstelle der SP Bern  gegenüber der Aargauer Zeitung verlauten: Alles sei nur ein persönlicher Gedanke Tschümperlins gewesen. "Die Aussagen im SonntagBlick hätten alleine Tschümperlins Meinung weiderspiegelt.

Die brisante Verlautbarung des Fraktionschefs nach ein paar Tagen plötzlich als persönliche Meinung zurückzustufen, machte Medien und Oeffentlichkeit stutzig.  Die Partei will nun offensichtlich den Schaden begrenzen.  Wohl wissend, dass Tschümperlins Plan kaum gelingen kann.

Der SP Fraktionspräsident versuchte  seinerseits, nachträglich, dem SonntagsBlick den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. Im Gespräch mit dem Journalisten habe er nur seine persönliche Meinung gesagt, betonte er ebenfalls  viel zu spät.

Die SP machte aus meiner Sicht  einen kapitalen Fehler



Bei so einer brisanten Geschichte darf keine Institution  so lange zu warten mit einer Berichtigung.

Man hätte schon am Montag die Sache richtig stellen müssen. Die rechtzeitige Klärung wurde verpasst.

Nach der überraschend gewonnen Wahl attestierte damals Tschümperlins Vorgängerin Wyss, der neue Fraktionschef habe ein politisches Gespür, er sei befähigt, die Fraktion geeint zu führen. Beim jüngsten Eklat scheint nun der  neue Fraktionschef weder das politische Gespür zu haben, noch fähig zu sein,  die Fraktion geeint zu führen.

Wir können davon ausgehen, dass der verspätete Rückzieher der SP Geschäftsstelle in Bern der Partei imagemässig schaden wird. Wenn Tschümperlin nach der Publikation eindeutig geklärt  hätte, seine Idee sei nur als Diskussionsgrundlage für die Partei gedacht, so wäre der Medienwirbel versandet.



 Der publizierte Coup mit dem zu späten Rückzieher, ist insoweit auch kontraproduktiv, als das Lavieren bei Kommunikationsprozessen die Glaubwürdigkeit immer  beeinträchtigt. Zudem könnte es bei der Wahl des Bundespräsidenten auch noch zu einem Mitleideffekt für Maurer kommen. Wir dürfen  nicht vergessen: Die erfolgreiche - aber hinterhältige Nacht- und Nebelaktion vor der Abwahl Blochers - steckt  immer noch viele Volksvertretern in den Knochen.

Zur Rhetorik Tschümperlins







Meist überzeugt Tschümperlin durch  einfache, verständliche Formulierungen. Wenn er auftritt, ist immer gut geerdet. In der Arena sprach er  mediengerecht, oft recht bildhaft z. Bsp: "Damit lassen wir den Wirtschaftmotor brummen".
Seine erkennbare  Pausentechnik signalisiert Sicherheit.
Als Person wirkt der Politiker bei der freien Rede  natürlich und  glaubwürdig. Gestik und Inhalt stimmen dann überein.


Andy Tschümperlin


















Im Parlament hingegen liest er seine Voten zu oft ab. Es fehlt dann jedoch der echte Blickkontakt, die "Brücke zum Du". Man fühlt sich jedenfalls nicht angesprochen.
Ich habe Auftritte gesehen (z.Bsp. beim Auftritt anlässlich der Initiative für 6 Wochen Ferien). Da stimmt der rhythmische Akzent nicht. Die Betonungen sind aufgesetzt. Es wirkt so, als würde Tschümperlin den Text eines Ghostwriters rezitieren.
Vor der Wahl - während der Wahl und nach der Wahl wiederholte  Tschümperlin bei allen Interviews seine Dachbotschaften  vorbildlich: "Ich nehme die Leute ernst und will eine Partei für ALLE vertreten, nicht nur für EINZELNE." Dies in Anlehnung an die treffende Parteibotschaft: "Für ALLE, statt für WENIGE!".




Nationalrat Andy Tschümperlin


Stimme als Lügendetektor?


Es fällt auf, dass Andy Tschümperlins Stimme in der jüngsten Phase der Rechtfertigung angespannter und damit auch höher klingt. Dies reduziert die Glaubwürdigkeit der Aussagen..



Fazit: Nach dem Vorprellen mit der unbedachten Forderung, Maurer nicht zum Bundespräsidenten zu wählen, müsste Andy Tschümperlin den wichtigen  Grundsatz besser beherzigen: DENKEN - UEBERLEGEN - KLAEREN - ERST DANN REDEN.

Jemand, der überreagiert und seine publizierten Aussagen zu spät korrigiert, muss sich nicht wundern, wenn ihm auch die Korrektur der angeblichen Aeusserung "Blocher muss man den Grind umdrehen"  nicht geglaubt wird, obschon  Tschümperlin   diese Aussage vehement bestreitet.

Der SP Fraktionschef muss sich deshalb  nicht wundern, wenn ein Journalist die leide Geschichte wie folgt titelt:
"Tschümperlin oder Stümperlin?"




Nachtrag baz:

Andy Tschümperlin: Der Softie
Der 50-Jährige sitzt bereits seit 2007 im Nationalrat. Stricke hat er hier keine grossen zerrissen. Bis letzte Woche: Nur gut vier Monate nach seinem Amtsantritt als SP-Fraktionschef hat sich der vierfache Vater aus Rickenbach (SZ) mit seinem Angriff auf Bundesrat Ueli Maurer gehörig die Finger verbrannt. Er sei kein Softie, betonte der passionierte Fasnächtler und Bassist in einem Interview, er habe «auch eine schärfere Seite». Diese hat er nun gezeigt. Das Problem: Die Schärfe brennt im eigenen Gaumen nach.
  • Auftritt: Er sieht aus wie ein Lehrer (ist er ja auch) und wirkt bei seinen Auftritten wie ein typischer Gutmensch. Er ist «leichtfüssig» unterwegs, meint Balsiger. Andere nennen es unscheinbar. In der neuen Rolle ist er (noch) nicht angekommen. Die Zeit dafür drängt. Was ihn auszeichnet, ist seine einfache und verständliche Sprache. Bei Auftritten erlebt ihn Kommunikationsberater Marcus Knill als «natürlich und glaubwürdig».

  • Erscheinung: Er kommt sportlich ­korrekt, aber auch etwas bieder daher. Das Outfit «scheint ihm nicht sonderlich wichtig zu sein», glaubt Balsiger.

  • Inhalt: In der Fraktion war Tschümperlin bislang ein Hinterbänkler. Er hat sich auf seine thematischen Steckenpferde konzentriert.

  • Wirkung: Für die neue Position hat er (noch) deutlich zu wenig Statur. «Als Fraktionschef ist er ein Irrtum», urteilt Stöhlker. Er sei weder ein kämpferischer Sozialdemokrat, noch könne er die divergierenden Parteiflügel verbinden. Etwas Gutes könne er, so Stöhlker, für die Partei noch tun: «Mithelfen, einen guten Nachfolger für Partei­präsident Christian Levrat zu finden.»

  • Fettnäpfchenanfälligkeit: Immens. Bereits bei seinem ersten grösseren Auftritt als Fraktionschef ist er mit ­beiden Füssen voll hineingetreten. Seine Aussage zu Maurer wird wahlweise als naiv oder als Versuch der Selbstprofilierung gewertet. Beides ist nicht schmeichelhaft.
(Basler Zeitung)




Nachtrag aus NZZ:












SP-Angriff auf Ueli Maurer

«Tschümperlin hat sich verrannt»


Andy Tschümperlin, Chef der SP-Bundeshausfraktion, will verhindern, dass Ueli Maurer 2013 Vizepräsident des Bundesrats wird. «Diese Attacke nehme ich nicht ernst», sagt SVP-Präsident Toni Brunner.
rz. Am letzten Wochenende wirbelte der Schwyzer Nationalrat Andy Tschümperlin Staub auf. Er werde sich persönlich dafür engagieren, dass Verteidigungsminister Ueli Maurer im Dezember nicht zum Vizepräsidenten des Bundesrats gewählt werde. Der SVP-Magistrat sei dieses Amtes nicht würdig, verkündete Tschümperlin via «Sonntags-Blick».

Ungeschickt

Was meint Toni Brunner dazu? «Ich kann Andy Tschümperlin nicht ernst nehmen», sagte der Präsident der SVP am Freitag am Rande eines Pressegesprächs. Wenn der SP-Fraktionschef tatsächlich plane, Ueli Maurer zu diskreditieren, dann müsste er schon geschickter vorgehen. Eine solche Attacke lanciere man sicher nicht via Boulevardpresse, schon gar nicht Monate vor dem Wahltermin, wenn man erfolgreich sein wolle.
Toni Brunner seinerseits dreht den Spiess um: «Ich gehe davon aus, dass sich die SP im Dezember an die usanzmässigen Gepflogenheiten hält und Ueli Maurer zum Vizepräsidenten wählt.» Zudem erwarte er, so Brunner, dass die Sozialdemokraten der SVP bei nächster Gelegenheit endlich einen zweiten Sitz in der Regierung zubilligten. «Sonst wüsste ich nicht, was die SVP noch im Bundesrat verloren hat."

Erledigt

Andy Tschümperlin habe sich mit seiner sommerlichen Aktion schlicht verrant, lautet das Urteil des SVP-Präsidenten. Diese Einschätzung hat einiges für sich. In den letzten Tagen haben mehrere SP-Fraktionskollegen auf Tschümperlins Offensive sehr reserviert reagiert. Ob sich der Schwyzer Nationalrat innerhalb seiner eigenen Fraktion isoliert hat, wie Toni Brunner zu glauben weiss, bleibt abzuwarten.
Der SVP-Präsident jedenfalls ist nicht gewillt, den Fehdehandschuh aufzugreifen. «Für mich ist die Sache erledigt.»