Sonderbare Europarhetorik
Wenn wir die Aeusserungen Merkels und Schäubles genauer anhören, lässt die Wortwahl aufhorchen.
Plötzlich wird die Idee der Bankenunion doch aufgenommen. Hinsichtlich rigider Sparpolitik stellen wir plötzlich eine Aufweichung fest. Das kapital soll aufgestockt werden. Auch bei den Rettungsgeldern weicht Deutschland von den alten Positionen ab. Die Rhetorik wird europafreundlicher.
Aus Tagi-online. Ich zitiere:
Kanzlerin Merkel will eine gemeinsame
Bankenaufsicht, Finanzminister Schäuble eine «richtige Fiskalunion»:
Berlin schlägt in der Eurokrise neue Töne an. Doch wie ernst meint man
es mit Europa wirklich?
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Überzeugte Europäer,
leidenschaftliche Sparer: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.:
Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Bild: Reuters
Deutschland brauche künftig eine «richtige Fiskalunion», sagt Wolfgang
Schäuble heute in einem Interview mit dem deutschen «Handelsblatt». Die
Übereinstimmung zwischen Geld- und Finanzpolitik habe in Europa bisher
gefehlt. Seine Wortwahl lässt aufhorchen: In der weiteren Diskussion
über die Schuldenpolitik sei nun eine neue Integrationsstufe nötig, so
der Finanzminister. Auch die Idee einer Bankenunion – mit gemeinsamer
Einlagensicherung und Aufsichtsbehörde – findet bei Schäuble neuerdings
Zuspruch.
In Berlin zeichnet sich offenbar ein Gesinnungswandel
ab. Die Zeit drängt: Bereits am Donnerstag braucht Spanien frisches Geld
– aber die Märkte sind zu den derzeitigen Zinsen de facto nicht mehr
zugänglich, wie Finanzminister Cristobal Montoro heute einräumt. Das
Land hat Banken zu rekapitalisieren, doch für 10-jährige Anleihen werden
gegen 7 Prozent Zinsen verlangt. Die kritische Grenze ist beinahe
erreicht: Dass Spanien Rettungskredite in Anspruch nehmen muss, wird
immer wahrscheinlicher. Und was mit Griechenland nach den Wahlen
geschieht, daran mag in Brüssel, Berlin oder Paris erst recht kein
Politiker denken.
Zeit für eine Kursänderung
Deutschland
hat Europa einen rigiden Sparkurs verordnet. Und stösst damit je
länger, je weniger auf Gegenliebe. Zumindest ein Stück weit hat sich die
Kanzlerin jedoch erweichen lassen: Medienberichten zufolge plant
Merkels Regierung ein Massnahmenpaket, das Europa neuen Schwung
verleihen soll. Das Konzept mit dem Titel «Mehr Wachstum für Europa:
Beschäftigung – Investitionen – Innovationen» sieht eine
Kapitalaufstockung der Europäischen Investitionsbank von 10 Milliarden
Euro, staatliche Garantien für private Projektanleihen sowie Gelder zur
Verminderung der Jugendarbeitslosigkeit vor.
Politikwissenschaftler
Wichard Woyke von der Uni Münster erkennt in diesen Signalen ein
wiederkehrendes Muster. Schon die Rettungsgelder für Griechenland waren
von Berlin ursprünglich abgelehnt worden: «Doch Angela Merkel ist mit
einer gewissen Zeitverzögerung immer wieder von ihren Positionen
abgewichen». Nun scheint Merkel den Forderungen nach Wachstum, wie sie
von ihren europäischen Partnern geäussert wurden, nachzugeben. Auch
Werner Weidenfeld, Politologe an der LMU München, sieht nun den
Zeitpunkt für weitere Integrationsschritte gekommen: «Eine Währungsunion
funktioniert nicht ohne politische Union.»
Weidenfeld zufolge ist
diese Tatsache auch der Bundesregierung bewusst. Und zwar schon lange.
Nur um den Reformwillen der Krisenländer nicht zu brechen, hätten Merkel
und Schäuble entsprechende Initiativen bisher aufgeschoben. Weidenfeld
betont: «Die Deutschen haben eine positive Grundhaltung gegenüber Europa
bewahrt». Dies zeige sich in regelmässig durchgeführten Umfragen, allem
Unmut gegenüber Schuldenwirtschaft und Rettungspaketen zum Trotz. Seit
März befindet sich der DAX indes wieder auf Talfahrt. Auch aus diesem
Grund scheinen Schäuble und Co. dem deutschen Wähler nun eine Nuance
mehr europafreundliche Rhetorik zuzumuten.
Beliebige Formeln
Der
deutsche Finanzminister sieht sich selbst als Visionär, was Europa
anbelangt. Ihn treibt die grundtiefe Überzeugung, dass Europa politisch
zusammenwachsen muss. Vor zwei Wochen durfte er den prestigeträchtigen
Karlspreis entgegennehmen, eine Auszeichnung für Verdienste um die
Europäische Einigung. «Es gibt heute keinen grösseren Verfechter der
Europäischen Integration als Wolfgang Schäuble», würdigte IWF-Chefin
Christine Lagarde den Preisträger anlässlich der Verleihung. Einwohnern
des mediterranen Europa dürften diese Worte indes wie blanker Hohn
vorkommen: Kaum jemand hat sich seit der Finanzkrise stärker gegen die
finanzielle Verflechtung Europas gewehrt als der Schwabe im deutschen
Ministeramt.
Ob Schäubles aktuelles Drängen auf ehrlicher
Europafreundlichkeit beruht, bleibt denn auch fraglich. «Die Formel von
der ‹Fiskalunion› kann beinahe beliebig gefüllt werden», sagt
Europaexperte Wichard Woyke. Was der deutsche Finanzminister darunter
versteht, verdeutlicht sich in seinen Interviewausführungen im
«Handelsblatt»(Ende Zitat)
Kommentar:
Man kann leider nicht «hohen Schulden mit noch höheren
Defiziten» bekämpfen. Da hat Schäuble sicherlich recht. Deutschland erhofft sich langfristiges nun einen Trendwachstum durch
Strukturreformen. Eine Verschlimmerung der Konjunktur durch
Sparprogramme muss Deutschland heute als unbequeme, aber unumgängliche Nebenwirkung
in Kauf nehmen.
Was sagt heute Schäuble zum Fiskalpakt?
Ich zitiere TAGI:
Ist
in Berlin demnach alles nur Rhetorik? Werner Weidenfeld mag dies nicht
so sehen: «Mit dem Fiskalpakt allein ist Europa auf halber Strecke.»
Dies sehe auch Wolfgang Schäuble so. Der Fiskalpakt – er wurde im
Dezember nach nur zweimonatiger Verhandlungszeit verabschiedet – soll
spätestens binnen fünf Jahren in europäisches Recht überführt werden.
Bis dahin gilt es für die Bundesregierung, die nötigen Weichen für ein
funktionsfähiges Europa zu stellen, so Weidenfeld – will heissen, Dinge
wie die Banken- oder Fiskalunion im selben Zug vertragsmässig zu
verankern.
Europas Vorstellungen bezüglich letzterem Punkt
divergieren allerdings: Denken Frankreich und Italien beim Wort
Fiskalunion etwa an einen europaweiten Finanzausgleich, wie er innerhalb
eines Bundesstaats existiert, so will Deutschland der EU vor allem mehr
Mitsprache bei der Gestaltung nationaler Haushalte geben. Klar ist
eigentlich nur eines: Bis Europa so etwas wie eine Fiskalunion hat,
werden Politiker noch manchen Sitzungsmarathon austragen. Bereits am 21.
Juni folgt der nächste Eurogipfel.