Wulff: Wenn sich Kleinigkeiten summieren
Wieder neue Vorwürfe gegen Christian Wulff, wieder liegt kein
klarer Rechtsbruch vor – doch die Glaubwürdigkeit nimmt Schaden.
Erneut wird Bundespräsident Christian Wulff vorgeworfen, er habe
den niedersächsischen Landtag belogen. Der neue Vorwurf passt ins Bild,
das man sich inzwischen von Wulff gemacht hat. Er hat wohl nicht
offensichtlich gelogen, aber auch nicht alles gesagt, was er hätte sagen
sollen. Ein Bundespräsident, der moralisches Vorbild sein soll und noch
mehr sein will, verliert so immer mehr Glaubwürdigkeit.
Erneut geht es um die Aussage, die Wulff im Februar 2010 im Landtag von
Hannover gemacht hat, damals noch als Ministerpräsident. Er wurde
gefragt, ob er in den letzten zehn Jahren geschäftliche Beziehungen zu
seinem väterlichen Freund, dem Osnabrücker Unternehmer Egon Geerkens,
hatte. Wulff verneinte.
Doch inzwischen kommen immer mehr geschäftliche Verbindungen zwischen
Wulff und Geerkens zum Vorschein. Dass Geerkens Frau Edith dem neu
verheirateten Politiker Wulff einen Kredit über 500 000 Euro zum Kauf
eines Hauses gab, ist schon lange bekannt. Auch, dass Egon Geerkens die
Konditionen des Kredits ausgehandelt hatte und Wulff einen
Anschlusskredit bei der BW-Bank besorgte, weiß man seit Wochen.
Neu ist nun der Vorwurf von tagesschau.de, dass Wulff auch über seine
alte Anwaltskanzlei – zumindest indirekt – mit Geerkens geschäftlich
verbunden gewesen sein soll. Konkret geht es um die Osnabrücker
Anwaltskanzlei Funk-Tenfelde, für die Christian Wulff früher tätig war
und auf deren Briefpapier er noch lange aufgeführt wurde. Auf der
anderen Seite war Geerkens bis 2007 Vermieter der Räume, in der die
Kanzlei Funk-Tenfelde residierte. Außerdem war Geerkens auch Mandant der
Anwaltskanzlei. Es bestand also eine doppelte Geschäftsbeziehung
zwischen Geerkens und der Kanzlei.
Doch bestand dadurch auch eine Geschäftsbeziehung zwischen Wulff und
Geerkens, die Wulff im Landtag hätte angeben müssen? Politiker aus dem
rot-grünen Oppositionslager werfen Wulff dies vor. Es werde immer
offensichtlicher, "dass Wulff den Landtag nach Strich und Faden hinters
Licht geführt hat", sagte etwa Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzende der
Grünen in Niedersachsen.
Wulffs Medienanwalt Gernot Lehr erklärte gestern jedoch, dass Christian
Wulff nie Partner der Sozietät gewesen war. Bis 1994 war er zwar bei
Funk-Tenfelde angestellt. Danach habe er seine Tätigkeit aber beendet
und auch keine Honorare oder sonstigen Vergütungen mehr erhalten. Wulff
hätte zwar als freier Mitarbeiter Mandate für die Kanzlei bearbeiten
können, das habe er aber nicht getan. Wulff habe deshalb keine über die
Kanzlei vermittelte Geschäftsbeziehung zu Geerkens gehabt.
Es bleibt aber der Fakt, dass Wulff in seiner Zeit als Ministerpräsident
weiter auf dem Briefkopf der Kanzlei stand und damit auch einverstanden
war. Nach außen wirkte er so wie ein Partner der Sozietät – obwohl er
keiner war. Man spricht deshalb von einem Außensozius oder einem
Scheinsozius, im Ernstfall hätte er sogar für die Kanzlei haften müssen.
Nach außen sah es so aus, als sei Wulff Partner der Kanzlei.
Es ist zwar nicht verboten, ja teilweise sogar üblich, eine Kanzlei mit
solchen Aushängeschildern zu schmücken. Für Wulff könnte das nun aber
Folgen haben.
Denn nach außen sah es durchaus so aus, als sei Wulff als Partner der
Kanzlei eng mit Geerkens verbandelt. Zumindest darüber hätte Wulff also
aufklären sollen. Doch mit strafrechtlichen Konsequenzen muss Wulff in
diesem Punkt nicht rechnen. Wer das Parlament anflunkert, macht sich in
der Regel nicht strafbar. Die SPD will deshalb das
Landesverfassungsgericht von Niedersachsen anrufen. Die Richter sollen
feststellen, ob der damalige Ministerpräsident Wulff seine Pflicht zur
vollständigen Beantwortung von Fragen verletzt hat.
Objektiv sind das alles eher Kleinigkeiten. Wahrscheinlich werden in den
Parlamenten dieses Landes täglich Fragen ausweichend und unvollständig
beantwortet. Bei Wulff reagieren Kritiker inzwischen aber allergisch,
weil es nach einem Muster aussieht. Und weil es auch meist um
persönliche Vorteile und persönliche Beziehungen zu reichen Freunden
geht.
Bisher will Wulff seinen Ansehensverlust aussitzen. Derzeit macht er mit
seiner Frau Urlaub im Thüringer Wald. Gefährlich dürfte es für Wulff
werden, wenn es um Vorteilsnahme und Bestechlichkeit geht. Mit diesem
Vorwurf wird inzwischen gegen Wulffs ehemaligen Sprecher Glaeseker
ermittelt, der seine Amtsstellung zugunsten eines Partyunternehmers und
seiner Veranstaltungen missbraucht haben soll. Auch keine richtig große
Sache. Aber erstmals nahm eine Staatsanwaltschaft im Umfeld des
Bundespräsidenten strafrechtliche Ermittlungen auf. Dass es jetzt auch
für Wulff ernst werden könnte, zeigen die Reaktionen der schwarz-gelben
Landesregierung in Hannover. Alle distanzieren sich von Glaeseker. Bald
auch von Wulff?
Quelle: Badische Zeitung
Kommentar:
Bauern und Banker sagen vielfach: "Auch Kleinvieh gibt Mist". In Anlehnung an diese Erkenntnis, müsste Wulff eigentlich einsehen: "Auch viele Kleinigkeiten summieren sich und können auch die Glaubwürdigkeit nehmen".