Die jüngste wissenschaftliche Standortbestimmung macht bewusst:
Einfalt verdrängt Vielfalt!
Urs Altermann sieht Lösungsansätze:
Im Nachhinein erweist sich die Abwahl von Ruth Metzler immer deutlicher als historische Zäsur. In der Periode der Zauberformel von 1959 bis 2003 bemühten sich Bundesrat und Parteistrategen um geordnete Rücktritte.
Zur Stärke des schweizerischen Regierungssystems gehörte die Stabilität und Kontinuität des Bundesrates. Das hat sich seit den 90er-Jahren geändert. Die vier vorzeitigen Rücktritte während der laufenden Legislatur (Samuel Schmid 2008, Pascal Couchepin 2009, Moritz Leuenberger und Hans-Rudolf Merz 2010) verstärken den Eindruck einer labilen Landesregierung, die an italienische und französische Regierungsverhältnisse früherer Jahre erinnert und nicht dem Geist des auf Dauerhaftigkeit angelegten schweizerischen politischen Systems entspricht.
Machiavellistisch inspiriert
Grotesk wird diese Fragilität der Landesregierung, wenn Bundesräte zum Vornherein auf Probe, das heisst auf ein oder zwei Jahre gewählt würden. Vor kurzem erklärte der freisinnige Parteipräsident Fulvio Pelli, dass die FDP ihren zweiten Bundesratssitz abgebe, falls sie in den Nationalratswahlen von 2011 von der CVP überholt werde. Diese Aussage kann nur als machiavellistisch inspirierte Beruhigungspille eines Parteitaktikers angesehen werden, um den umstrittenen zweiten Sitz seiner FDP zu retten.
In der neueren Geschichte ist noch kein Bundesrat nach ein- oder zweijähriger Amtsdauer nur wegen kleiner Prozentverschiebungen in den Nationalratswahlen zurückgetreten oder abgewählt worden. Soll nun der Tabubruch von 2003 zur Regel werden und die personelle Stabilität des Bundesrates permanent in Frage stellen? Die Kollegialitätsregierung lebt vom gegenseitigen Vertrauen und Teamwork ihrer Mitglieder, die sich im Laufe der Zeit herausbilden. Bundesräte mit Probezeit drohen eine vielgerühmte Eigenart unserer Regierungsform zu schwächen.
Merz-Sitz an die CVP
Es scheint, dass nach Meinung der Parteistrategen der arithmetische Proporz die grundlegende Maxime der Zukunft ist. Dann müssen vorher Regeln festgelegt werden, denn nur solche ermöglichen eine faire und nachvollziehbare Regierungsbildung. Es stellen sich folgende Fragen:
1. Darf ein aus der Partei ausgestossenes Mitglied auch nach einer ordentlichen Wahlperiode zur früheren Partei gezählt werden? Naheliegende Antwort: wohl kaum.
2. Welches ist das Kriterium für die Zuteilung der Sitze? Die Mandate in der Vereinigten Bundesversammlung oder die Wahlprozente bei den Nationalratswahlen?
Berechnet man die Wahlprozente, beanspruchen auch die Grünen einen Sitz. Berücksichtigt man die Fraktionsmandate, hat die gemeinsame Fraktion der CVP/EVP/GLP mehr Sitze als die FDP/Liberalen. Auch wenn für die Öffentlichkeit die Wahlprozente einsichtiger sind, findet die eigentliche Wahl in der Bundesversammlung statt.
Eine neue Allianz
Gegenwärtig steht das Regierungssystem in einer seit 2003 dauernden Übergangsphase. Am Ende müssen wir eine neue Regierungsformel finden, die zu einer gewissen Stabilität führt. Ein Problem lässt sich mit politischem Willen und konkordantem Geist schon jetzt – 2010 – lösen. Will man die aktuelle Pattsituation innerhalb der bestehenden Ordnung lösen, gibt es für die sich konkurrenzierenden Mitteparteien eine Variante, die der Konkordanz entspricht: Der umstrittene dritte Sitz der Mitte soll zwischen der FDP und der CVP rotieren.
Vor Wochen sprachen die Parteiexponenten dieser Parteien von einer neuen Allianz. Diese könnten sie nun – so mein Vorschlag – gemeinsam zum ersten Mal praktizieren. Nachdem die FDP den Sitz von Pascal Couchepin mit Didier Burkhalter knapp halten konnte, legt das vorgeschlagene Rotationssystem nahe, den Merz-Sitz der CVP/EVP/ GLP-Fraktion zu überlassen.
Bis 2011 könnte das Parlament im Rahmen der angesagten Regierungsreformen den Bundesrat auf neun Mitglieder erhöhen und so den Grünen einen Sitz ermöglichen. Ein weiterer Sitz ginge an die SVP. Und über den Sitz von Eveline Widmer-Schlumpf könnten die Parteien 2011 streiten, damit der Schweizer Öffentlichkeit die Lust an der Politik nicht vergeht. Und ein Weiteres wäre erreicht: Die von allen Seiten beschworene Konkordanz überlebt bis zur nächsten Krise – zum Beispiel mit einem Übertritt der Bündner Bundesrätin zur FDP.
* Urs Altermatt, Historiker und Publizist, war bis 2010 Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. (Tages-Anzeiger)
Oder: Die Kehrseite der grenzenlosen Erziehung
Kindsmisshandlungen haben Folgen. Es gibt ein Gewaltschutzgesetz. Werden jedoch Eltern von Kindern geprügelt, geschieht nichts. Hier besteht eine Gesetzeslücke. Kinder können nicht weggewiesen werden, wenn sie Eltern misshandeln. Nach einem Bericht im Tagesanzeiger hat die Zahl der Meldungen über Jugendliche, die ihre Eltern schlagen, mit Faustschlägen traktieren oder die ihnen Gegenstände nachwerfen, stark zugenommen. Dies nach Angabe des Elternnotrufes. Vor allem alleinerziehende Mütter und Frauen sind betroffen.
Das Phänomen der Elternmisshandlung scheint ein weiterer Beleg zu sein für den viel beklagten Zerfall der Familie. Interessanterweise werden nicht in erster Linie jene Eltern geschlagen, die selber ihre Kinder geschlagen haben. Es sind vorwiegend jene Eltern, die keine Grenzen setzen und keine Forderungen stellen. Nach meinen Erfahrungen kann eine erspriessliche Erziehung nur gelingen, wenn BEIDES gegeben ist: - das konsequente Durchsetzen von verlässlichen Regeln - und der Aufbau von Beziehungen Beziehungen können bekanntlich nicht aufgebaut werden, wenn die Bezugspersonen nicht präsent sind.
Müssten nicht die Weichen neu gestellt werden zu Hause und in der Schule?
Weg von Beliebigkeit und stetem Wechsel hin zur Konstanz von Bezugspersonen.
Uebrigens: Alle haben ein Recht auf Unversehrtheit: Männer und Frauen. Eltern und Kinder.
Es darf weder Kindsmisshandlung noch Eltern - oder Lehrermisshandlung geben!