Ein Interview, das das Phänomen Gewalt am 1. Mai und nach Fussballspielen neu beleuchtet.
aus TAGI Dossier:
Herr Illi, Sie haben sich lange mit Hooligans und radikalen Fans beschäftigt. Was sagen Sie zu den Randalen vom Sonntag? Das gezielte Abfeuern von Pyrotechnik in die gegnerischen Fansektoren oder die bewussten Steinattacken auf die Polizei, das hat mittlerweile schon neue Dimensionen angenommen. Vor fünf, sechs Jahren waren das Einzelfälle.
Waren das Fans, Hooligans oder Krawalltouristen? Es waren sicher keine Fans. Aber auch nicht Hooligans im klassischen Sinn. Denn diese suchen den direkten Kampf mit einer anderen gleichgesinnten Gruppierung.
Also waren es Krawalltouristen: Mit Fussball hat das nichts mehr zu tun. Richtig. Aber bei Hooligans hat es das auch nicht wirklich. Der Sportanlass vereinfacht da nur die Organisation des Hobbys. Dank dem Super-League-Spielplan weiss man: In zwei Wochen geht's nach Basel, in drei nach Bern. Manchmal verzichten Hooligans aus taktischen Gründen bewusst auf den Besuch des Fussballmatches; so verwirren sie den Gegner.
Diese sinnlose Randale erinnert stark an den 1. Mai. Das ist so. Die Randalierer suchen sich in erster Linie ein Ereignis, von dem sie sich einen heissen Nachmittag erhoffen. Da spielt immer eine gewisse Dynamik mit.
Warum gingen die Gewalt-Brüder auf die Polizei und nicht vor allem aufeinander los? Wenn der Adrenalin-Spiegel hoch ist, aber der eigentliche Gegner nicht auftaucht, macht man schnell etwas Dummes und zwingt die Polizei so zum Eingreifen. Im Nachhinein kann dann sogar die Polizei als angreifende Partei dargestellt werden. Hauptsächlich geht es aber nicht darum, die Polizei zu attackieren. Sonst könnten sie ja gleich beim Urania-Gebäude klingeln gehen.
Worum geht es den Krawall-Brüdern dann? Sie sind geil auf Gewalt. Egal welche Gruppe, es geht um den Kick, den Nervenkitzel. Man könnte es mit einer illegalen Extremsportart vergleichen wie S-Bahn-Surfen oder Base-Jumping.
Geht es um Ur-Instinkte? Ja. Hooligans sagen das auch so: «Wir stehen unseren Mann und schauen zum rechten. Wir verteidigen unser Zürich gegen dieses Basel.» Es geht um Revierverteidigung, Gruppendynamik und Stammesrituale, aber auch um Kameradschaft – zumindest beim klassischen Hooliganismus. Hooligans haben sich aber schon seit jeher über die 16-jährigen Mitläufer aufgeregt, die aus dem Hinterhalt Steine warfen und ihnen die Schlägerei kaputt machten.
Es scheint fast so, als hätten nun diese Mitläufer überhand gewonnen? Das ist gut möglich. Schon 2003 wurde vom erlebnisorientierten radikalen Fan gesprochen, der mit allen Mitteln Radau und Krawall sucht. Egal ob gegen andere Krawallbrüder, ob gegen die Polizei oder in Form von Sachbeschädigung gegen eine Tramstation. Das macht es ja auch so gefährlich.
Sie finden normale Hooligans also weniger gefährlich? Ja. Eine saubere Hooligan-Schlägerei kann man manchmal schnell über die Bühne gehen lassen. Da ist oft in drei Minuten die Luft raus. Es kämpft Mann gegen Mann, wird nicht mit Steinen geworfen und es gibt keine Sachbeschädigung. Dieser Hooliganismus wird aber immer mehr an den Rand gedrängt. Die Vorfälle am Sonntag waren reine Zerstörungswut.
Was könnte man Ihrer Meinung nach dagegen tun? Das sind für mich Gewalttäter. Also müsste man sie auch entsprechend anpacken. Und zwar so, dass es weh tut. In der englischen Premier League etwa muss, wer aufs Spielfeld rennt, 10'000 Pfund Busse Zahlen. Kollektivstrafen wie Geisterspiele ergeben in meinen Augen keinen Sinn. Damit bestraft man diejenigen, die nichts dafür können. Bund, Fussballverband und Vereine gemeinsam sind gezwungen, schnellstmöglich griffige Lösungen zu präsentieren. (Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)
Kommentar: Bei den Gewalteskalationen am 1. Mai und in Schulen suchte man meist die Ursache im Stress und Druck von oben. Nun hat sich gezeigt, dass es ausgerechnet Langeweile, Orientierungslosigkeit, Grenzenlosigkeit ist, die Jugendliche reizen, sich an "organisierten" Anlässen auszutoben. Ich zitiere einen Ultras aus 20 Min:
«Wenn du durch die Strassen rennst, die anderen jagst oder die anderen hinter dir her sind und es fliegen ein paar Steine oder Flaschen - dieses Gefühl, das ist geil. Das schaffst du mit keiner Frau und mit keiner Droge. Dieses Gefühl, das ist einfach schön.»
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rhetorik.ch aktuell:
Die Ausschreitungen im Stile "Züri brennt" waren am 1. Mai bereits zum Ritual mit Tradition geworden. Psychologen, die sich mit Jugendgewalt ... www.rhetorik.ch/Aktuell/Aktuell_Mai_01_2001.html - 9k -Cached - Similar pages rhetorik.ch aktuell:
Am 1. Mai wurden seit fast 20 Jahren Scheiben eingeschlagen. ... Statistiken suggerieren, dass in westlichen Ländern die Jugendgewalt von 1980-1998 ... www.rhetorik.ch/Aktuell/Aktuell_Mai_28_2003.html - 13k -Cached - Similar pages rhetorik.ch aktuell: Neue Dimension von Jugendgewalt
20. Juni 2005 ... Gewalt gab es seit Bestehen der Menschheit - auch Jugendgewalt. ... Die Schweizer Jugend scheint keinen noch so dummen Trend auszulassen. ... www.rhetorik.ch/Aktuell/05/06_20.html - 16k - Cached - Similar page- Nachtrag Tagi (Auffahrt):
Ausschreitungen nach Cupfinal: Verletzte und 60 Verhaftete
Mehrere Personen wurden verletzt, wie die Kantonspolizei Bern mitteilte. Die Polizei hielt bis nach Mitternacht insgesamt rund 60 Personen an.
Die Polizei war mit einem Grossaufgebot präsent: Wegen dem hohen Zuschaueraufkommen am Cupfinal und den vielen Zuschauern in der Public Viewing Zone auf dem Bundesplatz standen mehrere hundert Polizistinnen und Polizisten im Einsatz. Die Berner Kantonspolizei wurde dabei vom Polizeikonkordat Nordwestschweiz unterstützt.
Die Sion-Fans besammelten sich vorgängig nicht wie vorgesehen auf der Schützenmatte, sondern blockierten über längere Zeit den Hauptbahnhof. Dadurch kam es zu erheblichen Behinderungen für die übrigen Bahnreisenden. Zudem sei es dort zu Sachbeschädigungen und massiven Verunreinigungen gekommen, so die Polizei. Auch Rauchpetarden wurden abgefeuert. Bei einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppierungen musste die Polizei Pfefferspray einsetzen.
Rauchpetarden und Fackeln wurden auch von YB-Fans auf dem Waisenhausplatz abgefeuert. Auf den Unzugsrouten wurden Sachbeschädigungen verübt. Es kam zu einzelnen Scharmützeln zwischen den beiden Fangruppen. Bis Spielbeginn mussten sechs Personen hospitalisiert werden. Die meisten Verletzungen stammten von Schlägereien oder Pyrotechnika.
Schlägereien unter grösseren Gruppen
Nach dem Spiel versuchte die Polizei die Fangruppierungen wiederum auseinander zu halten. Im Hauptbahnhof musste sie aber wegen Schlägereien unter grösseren Gruppen intervenieren. Um weitere Zusammentreffen zu verhindern, setzte die Polizei Gummischrot ein. Insgesamt kam es nach dem Match zu rund 40 Anhaltungen. Es wurden mehrere leicht verletzte Personen registriert.
Auch im Strassenverkehr kam es rund um das Spiel zu Behinderungen. Durch die beiden Fan-Umzüge zum Stadion wurde der Verkehr in der Innenstadt am Abend behindert. Zwischen 18.00 und 19.30 Uhr kam der Verkehr im Raum Wankdorf im Zusammenhang mit dem Verkehrsaufkommen durch die Messe BEA praktisch zum Erliegen. Aus dem Wallis kamen rund 110 Cars nach Bern.- Nachtrag 20 Min:
Gewalt im Fussball
Krawalle und Spielabsage in St. Gallen
- Die Gewaltwelle im Fussball hat nun auch die Erstliga-Gruppe 3 erreicht. Vor dem Kräftemessen zwischen den U21-Teams von St. Gallen und den Grasshoppers gingen Supporter auf dem Platz aufeinander los, der Schiedsrichter sagte die Partie ab. Mehr...