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Stöcker und die Handygang
Wenn Sie im ICE im Großraumwagen fahren, sitzt am Gang neben Ihnen Stöcker. Stöcker hat ein Handy. "Stöcker hier", brüllt er hinein. Und dann erfahren Sie von dem Problem mit dem Netzwerkdrucker. Der druckt Sachen aus, die er nicht drucken soll. Während Stöcker dies lautstark vertieft, schrillt das Handy der Ihnen gegenübersitzenden Mitreisenden. Es ist ein sehr individueller Klingelton aus einer Daily Soap, und es ist klar, dass man ihn auch im Zug nur in voller Lautstärke genießen kann - auch deswegen, weil sich Ihr Gegenüber viel Zeit lässt, bis sie ans Telefon geht. "Na, bist du schon mit allen Formalitäten durch?", will sie verschwörerisch wissen.
Nicht lange, und es wird allen interessierten (und, da sie Stöcker übertönen muss, auch allen nicht interessierten) Mitreisenden klar, dass die Frau heiratet. Ein Durcheinander sei das mit diesen ganzen Unterlagen. Die Eltern sind doch aus dem Osten, da ist alles anders. "Und ist es nicht makaber?", will sie wissen. "Gerade heute hat mein Vater seine Scheidung durch ..."
"Hier ist der Uwe, bist du jetzt auch in Bochum?", fragt es quer durch den Wagen, zum Schrecken etlicher Mitfahrer, denn der Zug ist nicht in Bochum, und er fährt auch nicht dorthin. Aber selbst wenn Sie wollten, könnten Sie Uwe nicht darauf aufmerksam machen, denn Ihr Gegenüber macht sich nun Gedanken um das Catering der Hochzeitsfeier, und Stöcker ist immer noch dem Druckerproblem auf der Spur - es ist sein Anruf Nummer siebzehn, und er hat jetzt den Einkauf dran. "Dann lass uns das beim Golf in Ascheberg bereden", schlägt Uwe vor und geht zum Werdegang von Dirk über. Der ist ziemlich unfähig, hat Dreck am Stecken und ist nur wegen seiner Beziehungen seit Kurzem Bezirksleiter von irgendeiner leider vernuschelten Firma, die er in den Ruin treiben und dann eine fette Abfindung kassieren wird.
Wie viel, ist schwer zu verstehen, denn da ist noch Eduard. Er hat das Pech, bei einem Netzanbieter ohne gute Abdeckung zu sein, und versucht, diesen Mangel durch Lautstärke auszugleichen. "Kati, ich bin's, Eduard", ruft er mit Tenorstimme ins Handy, "ich bin im Zug! Ich habe mein neues Handy dabei und wollte mich nur mal melden!" Aber dann ist die Verbindung schon wieder weg, und Eduard wählt erneut (nicht aus dem Adressbuch, nein, direkt, und jeder Tastendruck erzeugt einen quäkenden Ton). "Schwer mit der Kommunikation", ruft Eduard, "sehr schwer mit der Kommunikation. Kati, wie geht es dir? Was macht Alberts Bein?" Aber die Antwort erreicht ihn schon nicht mehr, sodass er erneut wählen muss - "wirklich sehr schwer mit der Kommunikation!" Wählt er einmal nicht sofort, ruft Kati an; dann ist nicht zu überhören, dass Eduard als - auf vollste Lautstärke gestellten - Klingelton den Flohwalzer bevorzugt, seltsamerweise in der Technoversion.
Kommentar: Die beschriebene Szene finde ich nicht gar nicht übertrieben. Ich habe Aehnliches im Schnellzug Zürich Bern vor zwei Wochen erlebt. Da machte sich ein Mitreisender mit sonorer Stimme kurz vor Bern wichtig und sagte laut und gut vernehmlich: "Schatz stell bitte den Chämpis kalt. Ich bin auf der Heimfahrt!"
Hätte sich der Handyrhetoriker sich nur ein wenig umgeschaut, so hätte er in den Gesichtern der Mitreisenden das abschätzige Lächeln und die zahlreichen negativen nonverbalen Signale feststellen können. Doch der Wichtigtuer merkte von diesen Rückmeldungen nichts. Bekanntlich ist übertriebene Geltungssucht oft gepaart mit einer reduzierten Wahrnehmungsfähigkeit.