Bundesrat Schmid ist nicht nur Verteidigungsminister. Er ist auch für den Sport verantwortlich. Somit ist es legal, wenn er sich um die Tour de Suisse kümmert. Sauer aufgestossen ist lediglich, dass sich der oberste Chef der Armee am Tag der Beerdigung nicht bei den Angehörigen der verunglückten Wehrmännern zeigt, sondern sich bei der Tour de Suisse mit zwei hübschen Missen ablichten lässt. Dieses Verhalten wird von einem Ethik - Professor als "geschmacklos" bezeichnet.
Ich zitiere Sonntagsblick:Links und rechts eingerahmt von zwei Schönheiten, der schwarzhaarigen Bianca Sissing (29) und der blonden Christa Rigozzi (25) strahlt Samuel Schmid (61) wie ein Maikäfer in die Kamera. In Gesellschaft von Ex-Missen fühlt sich der Verteidigungsminister offenbar pudelwohl. Dieses harmlose Bild kommt aber sehr schlecht an.
Denn aufgenommen wurde es am Freitag, dem 20. Juni. Das war der Tag, an dem die ganze Schweiz trauerte, an dem sie für immer Abschied nahm von vier Soldaten ihrer Armee.
Emmen LU Abschied von Marc Waldispühl.Am Morgen, um 9.15 Uhr, wird Oberwachtmeister Marc Waldispühl (†27) in Emmen LU zu Grabe getragen; um 14 Uhr dann Oberleutnant Patrick Wieland (†27), in Bättwil SO, Fourier Christian Mühlebach (†25) in Greifensee ZH und Wachtmeister Roby Ovcar (†33) in Buchs ZH. Sie haben beim Bootsdrama auf der Kander ihr Leben verloren – im Dienst ihres Landes.
Verteidigungsminister Schmid ist oberster Verantwortlicher der Armee. Er hielt es nicht für nötig, an den Trauerfeiern teilzunehmen. Doch am selben Tag eilte er an die Tour de Suisse nach Lyss BE – in ziemlich spontaner Mission. «Er meldete sein Kommen erst am Vortag an», so der Medienchef des Sportanlasses, Kurt Henauer, zu SonntagsBlick. Das war am Tag vor den bewegenden Abdankungszeremonien. Schmid wollte bei der Ankunft der Radrennfahrer in seiner Heimat unbedingt dabei sein – zumal dank des Berners Fabian Cancellara (27) schon da ein Schweizer Sieg absehbar war.
Unter dem Applaus Tausender Zuschauer gratuliert Schmid gegen 18.30 Uhr dem Sieger. Dann geht er von der Bühne. Dort trifft er auf Fotograf Patric Spani, der für den Tour-de-Suisse-Hauptsponsor Würth fotografiert. Ob der Herr Bundesrat kurz mit den beiden Missen posieren könne? Kein Problem – und das Bild mit dem strahlenden Schmid ist im Kasten. Die «Weltwoche» druckte es.
Mangelndes Feingefühl?
Aber: Hat Schmid denn gar kein Mitgefühl? Ist er sich nicht bewusst, dass kein halbwegs professionell beratener Chef an einem Volksfest auftritt, oder gar herumschäkert, wenn am selben Tag mehrere seiner Mitarbeiter beerdigt werden?
«Geschmacklos», findet der Ethik-Professor an der Uni Lausanne, Alberto Bondolfi dieses Verhalten.
Auch Politiker reden inzwischen Klartext, quer durch alle Parteien: «Samuel Schmids Auftritt an der Tour de Suisse zeugt von fehlender Sensibilität gegenüber den Opferfamilien und von falscher politischer Prioritätensetzung», sagt SP-Präsident Christian Levrat (37).
Die Zürcher FDP-Nationalrätin und Kommunikationsexpertin Doris Fiala (51): «Ich kenne die Hintergründe nicht, bin aber der Meinung, dass Samuel Schmid die Prioritäten bei einem so schweren Unglück bei den Trauernden hätte setzen müssen.» Der katastrophenerprobte Urner Ex-FDP-Präsident Franz Steinegger (65) pflichtet seiner Parteikollegin bei: «Die Frage kann man sich stellen, ob das ein geglückter Auftritt war. Aber man muss berücksichtigen, dass Schmid nicht nur Anforderungen als Verteidigungs-, sondern auch als Sportminister zu erfüllen hat.»
Nicht einmal seine Bundesratskollegen verstehen Schmids Auftritt und geben sich diplomatisch: «Ich möchte zu dem Thema nichts sagen», so Hans-Rudolf Merz (65) gestern am FDP-Parteitag zu SonntagsBlick. Ebenso Moritz Leuenberger (62), der gestern in Davos GR weilte. Auch für CVP-Präsident Christophe Darbellay (37) und den Zürcher Ständerat Felix Gutzwiller (60, FDP) ist das Thema zu gefühlsbeladen für einen Kommentar.
Am Rande einer Medienkonferenz konfrontierte SonntagsBlick Samuel Schmid mit der zunehmenden Kritik.
Er sei von den Missen «überrumpelt» worden: «Ich hatte gerade zu meinen Truppen gesprochen und drehte mich um, und dann standen da diese beiden Damen. So war das.»
Schmid glaubt nicht, dass es sensibler gewesen wäre, an einer Trauerfeier teilzunehmen als an der Tour de Suisse: «Als Bundesrat habe ich eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen, und an einem Velorennen dem Sieger zu gratulieren gehört manchmal auch dazu.» Und: «Sie wissen, es waren vier Beerdigungen am gleichen Tag, und wenn Sie mir eine Lösung haben, wie ich überall hätte präsent sein sollen, dann sagen Sie es mir.» Er habe deshalb einzig an der zentralen Feier vom Dienstag in Thun BE teilgenommen und seine Generäle an die einzelnen Abdankungsfeiern delegiert.
Angehörige der toten Soldaten wollten sich nicht äussern. Im Gegensatz zu Dorothee Buchs (49), die vergangenen Sommer ihren Sohn Bojan (†22) beim Rekrutendrama an der Jungfrau verloren hat: «Schmid ist ein Showman. Ich glaube nicht, dass seine Gefühle echt waren, als er in Andermatt von unserem Sohn und den anderen fünf Rekruten Abschied nahm. Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört.»
Kommentar: Selbstverständlich kann ein Bundesrat nicht an alle Beerdigungen gehen. Es stimmt: Bundesrat Schmid nahm an der zentralen Feier in Thun teil. Doch ist seine Selbstschutzbehauptung (er sei überrascht worden) dürftig und billig. Wenn er sagt:
Ich bin von den Missen «überrumpelt» worden: «Ich hatte gerade zu meinen Truppen gesprochen und drehte mich um, und dann standen da diese beiden Damen. So war das.»
Mit dieser plumpen Ausrede sich der Chef VBS unglaubwürdig.
Ein Politiker muss mit Ueberraschungen umgehen können. Das Bild belegt, dass Samuel Schmid nicht durch einem Schnappschuss fotografiert worden ist. Er ist sicher nicht überrascht worden. Die Aufnahme ist vorbereitet worden. Alle drei Personen posieren bewusst vor der Kamera. Die Selbstschutzbehauptung mit dem Umdrehen erinnert mich an die plumpe Ausrede Calmy-Reys als sie in Iran mit dem fragwürdigen Machthaber lachend abgelichtet worden war (Die Aufnahme kam in der Weltpresse und es folgte ein enormer Medienwirbel). Die Aussenministerin behauptete ebenfalls im Nachhinein, man hätte ihr gerufen, sie hätte sich dann umgedreht und über die sonderbare Situation gelacht. So sei jene fragwürdige Aufnahme unfreiwillig entstanden.
Solche offensichtlichen billigen Begründungen sind kontraproduktiv. Sie sind unglaubwürdig. Selbst Laien durchschauen solch faule Ausreden. Dies schadet letztlich nur dem Image der Institution.
Bundesrat Schmid - der zu Zeit ohnehin im Fokus der Kritik steht, hätte in diesem Fall besser geschwiegen.
Schon letzte Woche gab es zu denken, als er bestritt, die Armee befinde sich bei der aktuellen Geschichte nicht ein einer Krise. Das mag zwar zutreffen. Denn nicht die ganze Armee befindet sich in einer Krise. Dennoch hat das Schlauchbootunglück die Armee - wie vor einem Jahr beim Jungfraudrama - die Armee und die Führungsspitze in eine Krisensituation gebracht. Die Institution musste beweisen, dass niemand in Krisenkommunikationen den Kopf verlieren darf. Für mich tönte die Aussage Schmids so, als sei die Armee bei diesem Unglück auch nicht mit einer Krisensituation konfrontiert worden. Mich hat bei meinen Analysen vor allem interessiert, wie das VBS die jüngste Krisensituation kommunikationsmässig managt. Ich wies in den Beiträgen (rhetorik.ch) auf die schlimmsten Fehler hin, die unter Druck entstehen - damit Leser daraus lernen können. Uebrigens hat die Armee erfreulicherweise von den gravierendstenen Kommunikationspannen nach dem Jungfrauunglück bereits Einiges gelernt und diese Lernpunkte merkbar umgesetzt.
Wir können immer aus Fehlern lernen! Auch jetzt wieder.