In erstaunlich kurzer Zeit hat es Merkel geschafft, was man ihr vor der Wahl kaum zugetraut hatte: Sie verschaffte sich Respekt, sie gewann Punkte, langsam und zäh. Ohne polterndes Auftreten, jedoch durch einen vergleichsweise zurückhaltenden Politikstil. Den empfinden viele Bürger als wohltuend, nach den zum Teil hektischen Jahren Schröder/Fischer.
Das neue Grundsatzprogramm, das die CDU am Montag in Hannover verabschiedet hatte, ist ein typisches Merkel-Programm: Klima- und Umweltschutz, Familiensplitting, Ausbau der Kinderbetreuung, Menschenrechte (Alles Grüne und rote Anliegen!
Steuer- und Finanzpolitik ist für Merkel eher eine trockene Angelegenheit. Emotional ist sie bei den Fragen, welche die Sozialdemokraten beackert haben: Bei Themen, die in den Medien behandelt werden und das Volk bewegt. Es sind vor allem die Themen des gesellschaftlichen Überbaus.
Die CDU ist, anders als die SPD, immer unideologisch gewesen. Programme waren ihr nie so wichtig, wie die auf Schrift und Wort fixierte Linke. Was nützlich war, wurde eingemeindet. Dass viele sie für konservativ halten und hielten, konnte und kann ihr nur recht sein. Das bindet und grenzt ab. Auch zu Zeiten Helmut Kohls war die CDU nie so bieder, wie sie manchen Betrachtern erschien: das Familien- und Frauenministerium, das Umweltministerium, die Pflegeversicherung - all das wurde durchgesetzt.
Ist die CDU linker geworden?
Böse Zungen sagen, dass Merkel der SPD ständig Konzessionen mache und die CDU sogar die wichtigsten SPD Anliegen forciert habe. Merkle sei es lieber, links zu politisieren, als in einer Konfrontation zu scheitern. Die SPD sei den Bürgerlichen viel weniger entgegengekommen als es Merkel tue. Merkel mache alles um zu überleben, dies erkläre den unverständlichen Linkskurs.
Es gibt tatsächlich nur noch wenige konservative Elemente im Programm
Nur noch ein paar wenige konservative Einsprengsel im neuen Grundsatzprogramm sind noch auszumachen: Wie die Aufnahme des CSU-Modells vom Betreuungsgeld oder die Forderung nach einer privilegierten Partnerschaft statt der EU-Vollmitgliedschaft der Türkei. Es ist die emotionale Beigabe für Teile der Stammklientel, die mitgenommen werden sollen und müssen in die neue Zeit. Es ist der Preis, den Merkel und ihre Anhänger für die Investition in die Zukunft auf anderen Gebieten zahlen.
Kommentar: Möglicherweise ist dies Merkels Ueberlebensstrategie: Sie übernahm jene Themen, die einst den Grünen und der SPD vorbehalten schienen. Von der Leyens Vorschläge kommen aus der linken Küche. Es war ihre Politik, sie haben unter Rot-Grün den Anstoss dazu gegeben - jetzt segelt sie unter der Flagge der CDU. Die neue CDU in Hannover bezeichnet sich erstaunlicherweise als "Die Mitte". In Anlehnung an Gerhard Schröder, der für sich - d.h. für die SPD die "neue Mitte" erfand und damit 1998 Erfolg hatte und dann 2002 - dank Irakkrieg und Oder-Hochwasser - noch einmal knapp für eine zweite Amtszeit gewählt wurde. Den beiden Grosskoalitionären macht heute Sorge, dass sie kaum noch voneinander unterscheidbar sind. Die CDU wird des Linksschwenks bezichtigt. Der Tagesanzeiger titelt die Positon Merkels wie folgt: Angela Merkels Heimat im Sowohl-als-auch und folgert: Immer lauter fragen sich die Deutschen, was ihre Bundeskanzlerin, Angela Merkel, eigentlich will. Es wäre spannend zu sehen, was geschehen würde, wenn die CDU wieder eindeutiger zu ihren Grundwerten zurückkehrt. Aber dies ist wohl kaum denkbar. Politologe Franz Walter bringt es auf den Punkt (Quelle SN vom 4. Dezember): Die CDU ist eine Partei "mit viel Glück" und Angela Merkel eine Matriarchin auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Erfolgreich dank " sanfter Anpassung, geschmeidiger Problemverniedlichung" und der Verleugnung dessen, womit sie als Kanzlerkandidatin einmal angetreten war - nämlich mit dem Anspruch, das Land zu reformieren.