(ein Musterbeispiel unglaubwürdiger Kommunikation)
Der unter Dopingverdacht stehende Jan Ullrich will zurücktreten. Am Montag, 26.2. gab er anlässlich einer Pressekonferenz in einem Hamburger Hotel seinen Rückzug vom Leistungssport bekannt. Seit dem 30. Juni 2006 (vor dem Start der Tour de France) bestritt Ullrich keine Rennen mehr. Er wurde damals von allen Rennen suspendiert.
Ullrichs Worte an der Medienorientierung:
«Ich beende heute meine aktive Karriere».
folgten schwere Anschuldigungen gegen swiss olympic, Funktionäre und Medien und er betonte:
«Ich komme mir vor wie ein Schwerverbrecher.»
Die Aussage bedeutet nicht: "Ich bin kein Verbrecher" sondern nur, ich komme mir vor wie ein Schwerverbrecher. Die Uebertreibung ist geschickt. Denn niemand würde Ullrich - falls er schuldig gesprochen wird - als Schwerverbrecher bezeichnen. Indem Ullrich sagt, was er empfindet, begibt er sich nicht aufs Glatteis.
Rückblickend müssen wir in Erinnerung rufen:
Ullrich war wegen seiner Verwicklungen in den Dopingskandal um den spanischen Mediziner Eufemiano Fuentes von der Tour 2006 ausgeschlossen und am 21. Juli von seinem T-Mobile- Team fristlos entlassen worden. Es wurde dem Radprofi vorgeworfen, sich über Jahre bei Fuentes mit manipulierten Blutkonserven und diversen Doping-Mitteln eingedeckt zu haben.
Ullrich gewann 1997 die Tour de France, das wichtigste Radrennen der Welt, und wurde fünf Mal Zweiter. Er hatte sportlichen Erfolg. Die Frage ist nicht geklärt: Mit legalen Mitteln? In regelmässigen Abständen erlitt der erfolgreiche Sportler Rückschläge durch Verletzungen. Während der Rehabilitation wurde er positiv auf Amphetamine getestet und für sechs Monate gesperrt. Im gleichen Jahr verursachte er unter Alkoholeinfluss einen Unfall und beging Fahrerflucht. Im September hatten das Bundeskriminalamt und die Bonner Staatsanwaltschaft Ullrichs Wohnsitz in Scherzingen in der Schweiz durchsucht. Der Sportler verweigerte hernach ständig Proben. Er hätte seine Unschuld längst beweisen können. Ihm war bewusst: Solange man etwas nicht nachweisen kann, gilt die Unschuldvermutung. Die Oeffentlichkeit wurde jedoch skeptisch. Auch wir fragten uns: Weshalb erschwerte er ständig die Untersuchungen?
In unseren Analysen in rhetorik.ch (Siehe Aktuellbeitrag vom 1. Juli 06) hatten wir verschiedentlich Sportler und Sportfunktionäre beobachtet, die vor Mirkofon und Kamera Sachverhalte beschönigt oder bestritten hatten und sich dann erst später gezeigt hat, dass sie während des Interviews gelogen hatten.
Ich schrieb damals:
Bei Hochleistungssportler - vor allem bei Radrennfahrer - liegt die Versuchung nahe, illegale Möglichkeiten zu nutzen, um ihre Leistung zu steigern. Mit Mitteln, die auch für Dopingkontrolleure schwer nachweisbar sind. Ein Sportler hat uns verraten: Ohne Blutdoping oder chemische Hilfe ist heute eine Tour de France nicht mehr zu gewinnen. Denn wer nicht nachhilft und sauber bleibt, hat angeblich gar keine Chance mehr gegenüber den Rivalen, welche die Dopingkontrolleure austricksen. Tatsächlich hinkt die Kontrolle den neuen schwer nachweisbaren Möglichkeiten (wie Blutdoping) hintennach. Wir haben vor Jahren in Seminaren oft ein legendäres TV- Interview mit Oscar Camenzind gezeigt, als er vor der Kamera vehement abgestritten hatte, Doping genommen zu haben. Für uns war erstaunlich, dass schon damals die Betrachter des Fernsehbeitrages intuitiv gemerkte hatten, dass der Sportler lügt. Dies konnte schon damals - vor der Verurteilung - aufgrund der Körpersprache, den verbale Aeusserungen, de Stimme, den Emotionen erkannt werden. Nachtäglich bestätigte sich dann: Camenzind hatte vor der Kamera tatsächlich gelogen.
Wir haben auch in unserem Beitrag vom 1. Juni 06 ein Interview vor den Fernsehkameras mit Jan Ullrich gespeichert. Es kann heute noch auf dieser Seite betrachtet und angehört werden. Ullrich wurde damals auch mit dem Dopingvorwurf konfrontiert. Er wurde mit Ivan Basso und weiteren Fahrern wegen "begründeter Zweifel an seiner Unschuldsbeteuerung" von der Liste der "Tour de France" gestrichen. Wir haben nachträglich bei allen Umfragen zu diesem Interview Feedbacks erhalten, die Ullrich aufgrund seiner Stimme, seines Verhaltens, der Wortwahl und seiner Körpersprache die alle die Meinung vertraten: Ullrich sagt im Interview nicht die Wahrheit.
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Wir analysieren an dieser Stelle noch ein paar Aussagen Ullrichs aus der jüngsten Medienkonferenz:
"Ich bin enttäuscht von der UCI, von Swiss olympic und vom Schweizer Rad- Verband, der seit acht Monaten den Eindruck erwecken will, er hätte belastendes Material gegen mich".
Ullrich weigerte sich stets, vergleichende Proben zuzulassen und konnte dadurch die Beweise sabotieren. Hätte er ein gutes Gewissen gehabt, hätte er die Unschuld beweisen können. Mit seinem Angriff auf die Kontrollbehörde wählte Ullrich die Taktik: Angriff ist die beste Verteidigung.
Ullrich behauptete ferner an der Pressekonferenz:
"Ich habe ein reines Gewissen."
Hätte er tatsächlich ein reines Gewissen, dann müsste er nichts verbergen.
Folgende Worte Ullrichs sind ebenfalls aufschlussreich:
"Ich kann mit Stolz behaupten, in meiner ganzen Karriere nie betrogen und niemanden geschädigt zu haben. Das ist ganz gross."
Mit diesen Worten sagt Ullrich lediglich, dass er niemanden geschädigt hat. Das trifft möglicherweise zu, selbst dann, wenn er Blutdoping genommen hat. Ob sein Vergehen ein "Betrug" war, darüber könnte gestritten werden. Was Ullrich nicht explizit erwähnt (bewusst?): "Ich habe nie gelogen" oder "Ich habe nicht gedopt".
Der Radprofi hat sich somit verbalstrategisch geschickt verhalten. Ob er überzeugt hat? Wir zweifeln daran. Nachfragen an der Medienkonferenz erlaubte er nicht. Warum wohl? Ullrich - der immer noch unter Dopingverdacht steht - will künftig Berater werden. Berater für...? So wie Borer, der in einer Krisensituation versagt hatte und dann Krisenkommunikationsberater wurde, so könne Ullrich künftig auch Sportler beraten, die unter Dopingverdacht stehen.
Die Schlagzeilen in Deutschland waren hernach recht negativ
(Quelle Bild):
„Ullrichs peinlicher Abgang“ (“Express“)
„Der letzte Rundumschlag“ (“Westfälische Nachrichten“)
„Zum Abschied die letzte Attacke“ (“Frankfurter Rundschau“)
„Ein Rücktritt voller Selbstmitleid und fern der Realität“ (“Berliner Morgenpost“)
„Besuch aus dem Paralleluniversum“ (“Berliner Zeitung“)
Die internationale Presse ging noch härter mit ihm ins Gericht. „Le Figaro“ (Frankreich) schrieb: „Jan Ullrich oder die Geschichte eines Hochbegabten mit einem verpfuschten Schicksal.“
Der Titel im Südkurier ist bezeichnend:
Tricksen, täuschen - Jan Ullrich bleibt sich treu
Die negativen Echos kommen nicht von ungefähr
Das spitzbübische, angeblich clevere Verhalten war kontraproduktiv. Denn: Ullrichs Aussagen waren unglaubwürdig. Zu viele Fragen offene Fragen lagen in der Luft, die erörtet werden wollten, die Ullrich nicht zugelassen hatte. Dieses Abblocken schätzen Journalisten nie!
Zu oft hatte Ullrich getrickst, getarnt und getäuscht. Der angeschuldigte Sportler blockte wichtige Ermittlungen ab. Er verweigerte Speichelproben und konnte auch die Herausgbe eines Blutbeutels verhindern. Er versäumte es immer wieder, reinen Tisch zu machen. Die Oeffentlichkeit weiss heute, dass die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind und die Bonner Staatsanwaltschaft - wie auch der Schweizerische Radverband- den Fall weiter bearbeiten.
Die Indizienkette ist angeblich erdrückend.
Dennoch trat Ullrich so auf, als sei die Untersuchung abgeschlossen.
Ullrich wusste bestens, solange er nicht überführt ist, gilt er nicht als verurteilt. Der mutmassliche Täter konnte sich somit vor den Medien als Opfer "verkaufen".
Die Oeffentlichkeit hat Ullrichs raffinierte Rhetorik gehört- allein es fehlte allen der Glaube.
Für uns war diese Präsentation ein Musterbeispiel unglaubwürdiger Kommunikation.
Nachtrag 1. März:
Quelle: Bild online
Peinlich! Ullrich lässt
Beckmann-Sendung verbieten
(Zitat Bild online)
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Ullrichs seltsames Medienverständnis
Bisher liess Ullrich keine Fragen zu.
Nun hat er doch noch gemäss BLICK (4.3.07)Antworten gegeben.
Unter den Titel :
Ullrich stellt sich «kritischen» Fragen
Nun lässt sich der gefallene Rad-Star doch noch interviewen. Aber bizzarerweise von seinem PR-Berater! Nicht verwunderlich, dass es keine kritischen Fragen gibt. Bis jetzt hatte Ullrich noch nie die Frage beantwortet, ob der "Blutdoping" auch als strafbare Dopinghandlung betrachte.
Zum Pseudo-Interview
Vor einer Woche hat Jan Ullrich seinen Rücktritt erklärt. Seither reihte sich Peinlichkeit an Peinlichkeit. Ulrichs Medien-Verständnis gibt zu denken: Es gab eine Presse-Konferenz, an der Fragen verboten waren. Dann folgte der groteske Beckmann-Auftritt und der Versuch, eine Zweitausstrahlung zu verhindern.
Dann folgte ein Gespräch, das Ullrich auf seiner Homepage platziert hatte. Er gab ein Pseudo - Interview, in dem er den Fans die Wahrheit sagen wollte, weil die Medien angeblich seine Aussagen «verfälschen».
Der Interviewer, PR-Manager Michael Lang, kündigte zwar vor dem 18-Minuten-Gesprächs «kritische Fragen, Fragen zur Vergangenheit im Radsport» an. Dann folgte aber nur banalstes Gefasel. Fragen über Doping, den Ausschluss aus der Tour de France oder über den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes wurden alle ausgeklammert.
Es folgten Fragen wie:
«Fiel es leicht, die Karriere zu beenden?»
«Wie war das Verhältnis zu grossen Konkurrenten wie Basso oder Armstrong?»
«Bricht der Kontakt zu den Fans jetzt ab?»
«Weshalb nehmen Sie zu bestimmten Fragen keine Stellung?»
«Da möchte ich auf den Rat meiner Anwälte hören.»
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Zu schön , um wahr zu sein
Im Internet habe ich jüngst ein groteskes Interview gefunden. Es ist sehr wahrscheinlich eine Glosse , ein Gag, denn das Interview ist konstruiert. Dennoch habe ich die Antworten kommentiert, so als hätte es stattgefunden. Nach dem Ullrich in den echten Auftitten ähnlich geantwortet hat, wäre es eigentlich durchaus möglich, dass Jan Ullrich so antworten würde.
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1) Herr Ullrich, geht es Ihnen gut?
(Räuspert sich) Ich muss endlich auf den Rat meiner Anwälte vertrauen.
(Ernst) Unerlaubte Substanzen?
(Blickt sanft in die Kamera) Doping ist Doping ist Doping ist Doping.
(Runzelt die Stirn wie ein Denker) Kommt mir bekannt vor, erinnere mich nicht mehr, ihn getroffen zu haben.
5) Warum mag Sie Rudolf Scharping nicht mehr?
(Lacht euphorisch auf) Wahrscheinlich, weil er aus seinem Amt gezwungen wurde, ich hingegen frei, guten Gewissens und erhobenen Hauptes meine Karriere beenden kann.
(Reibt versonnen seinen Ring) Trauzeugen sind Privatsache.
(Holt eine Karteikarte raus) Auf Anraten meiner Anwälte kann ich dazu nichts sagen.
(Setzt sich entschlossen aufrecht hin) Wenn ich wollte, könnte ich sofort wieder angreifen, wie damals am Col de la Madeleine oder so.
(Reckt den Hals) Ich weiss: Doping ist Doping ist Doping.
Ich weiss auch: Jan Ullrich ist Jan Ullrich ist Jan Ullrich.
So ist es, God knows.
(Blickt versonnen zur Seite) Gell, Schatz?
Mein Körper gehört mir! Mein Bauch gehört mir! Meine DNA gehört mir!
(Klopft gegen seinen Schädel, dumpfes Geräusch)
Mein Kopf gehört mir auch!
Soweit dieses konstruierte Interview, das durchaus wahr sein könnte. Das Medienverhalten Ullrichs ist eine Fundgrube für alle, die sich für Medienrhetorik interessieren.
Wie können auch aus dem gestellten Interview Einiges lernen.
Uebrigens: Wer die echten Auftritte Ullrichs genau mitverfolgt hatte, konnte gut sehen, wie Ullrich immer dann an die Nase gegriffen hat, wenn es heikel wurde und er "lügen musste". Auch der Speichelschaum in einer Mundecke stimmten mit den Luftblasen in den Antworten überein.